3 Einträge
6 Bewertungen
87.5% Bewertung
  • Bewertung

    Honig eines Lebens

    Großartiger und sensibler Film über eine Frau, die sich in einem verlassenen Dorf in Mazedonien um ihre bettlägerige alte Mutter liebevoll kümmert.
    Aber auch mit den Bienen versteht sie sich zu arrangieren: etwas Honig für sich zu nehmen, aber auch dem Bienenstock zumindest die Hälfte zurückzulassen.
    Diese Idylle bzw.der Fairdeal erfahren ein trauriges Ende ...
    HONEYLAND ist ein großartiger Film über Liebe, Hoffnung, Respekt, das Leben aber auch über Zerstörung, Ausbeutung, Überleben und den Tod.
    leandercaine_0fc45209c9.jpg
    20.06.2020
    21:40 Uhr
  • Bewertung

    Wo die wilden Bienen wohnen

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die Regisseure Tamara Kotevska und Ljubo Stefanov haben mit ihrer Crew über drei Jahre hinweg an diesem Wunderwerk von Film gearbeitet. Er zeichnet das Leben zweier Familien, die in Bekirlijia, einem abgeschiedenen Dorf, aufeinandertreffen, auf. Hatidze ist eine gestandene Frau, die sich um ihre Mutter genauso liebevoll und ruppig kümmert wie um ihre Bienen, die sie von weit herholt, um natürlich Honig zu produzieren, den sie dann zu Fuß in die Stadt verkaufen geht.

    Der Zuseher ist vom ersten Moment an bei dieser Frau, wenn die Kamera sie ganz klein über eine Ebene wandern lässt, sie dann mit jeder Einstellung größer und präsenter macht, ihr von hinten folgt, als sie an einem schmalen Grat ein Bienennest aufspürt und aufmacht. Beim Close-up auf ihr so sprechendes Gesicht ist es um uns geschehen. Wir wollen mit ihr weitergehen.

    Der Zuseher ist auch bei Hatidze, wenn sich ihre Welt durch die neuen Nachbarn verändert. Wenn auf einmal Trubel in die Ruhe einbricht, Rinderhufe, die den Boden zerwühlen, Kinderschreie und -glucksen. Ist dabei, wenn Hatidzes Lachen und Tanzen zunimmt (nicht zuletzt durch die selbstgebastelte Antenne, die die Familie an ihren Campingwagen hängt, um Radio zu hören), aber auch ihr Stirnrunzeln.

    Die Ankunft der türkischen Familie Sam im Dorf gibt Hatidze eine Möglichkeit, ihr Wissen an die nachfolgende Generation weiterzugeben, aber bringt auch den natürlichen Lebensrhythmus, den sie für sich gefunden hat, durcheinander. Besonders, als der Familienvater Hussein, der viele Mäuler zu stopfen hat, beschließt, auch ins Honiggeschäft einzusteigen. Hatidze unterstützt ihn anfangs und besonders sein Sohn lernt von ihr viel über die natürliche Bienenzucht. Da der Vater Hussein aber möglichst viel Profit herausschlagen will, hält er sich nicht an die wichtigste Regel, den Bienen die Hälfte des Honigs zu lassen, damit sie gut überleben. Sonst beginnen nämlich die Bienen, denen man zu viel Honig weggenommen hat, bei anderen Bienen Honig zu stehlen und sie zu töten. Als sie in ihrem Bienenstock tote Bienen findet, bangt Hatidze um ihre Lebensgrundlage und bittet Hussein aus dem Honiggeschäft auszusteigen.

    Sehr spannend wird hier auf der einen Seite ganz ohne erhobenen Zeigefinger eine Welt, in der Fortschritt automatisch mit Geldbeschaffung ohne Rücksicht auf Verluste gleichgesetzt wird, beschrieben, das Urteilen überlässt der Film aber dem Zuschauer, er begleitet nur.

    Gleichzeitig wird andererseits parallel die Beziehung Mutter-Tochter und Vater-Sohn dokumentiert und die Verbindlichkeiten, die eine Familiengemeinschaft mit sich bringt. Während Hatidze für ihre Mutter alles tut und auch vieles aufgegeben hat begehrt in der Familie Sam der Junge gegen seinen Vater auf. Er sieht, dass die traditionelle Art des Bienenräucherns und die Wertschätzung dem Lebewesen und nicht der Ressource Biene gegenüber einen anderen und besseren Umgang ermöglicht und man so ganz nebenbei auch weniger gestochen wird.

    Bei der Viennale ist auch der Kameramann Samir Ljuma anwesend, der erzählt, dass es zwei unterschiedliche Filmpremieren in Nordmazedonien geben musste, da die beiden Familien mittlerweile vor Gericht gegeneinander prozessieren. Das Filmteam hat den Kontakt aber mit beiden Seiten aufrechterhalten und unterstützt beide Seiten so gut es geht. Denn auch die materiellen Versorgungsnöte als Familienvater von acht Kindern seien ihnen sehr nachvollziehbar.

    Mich hat dieser Dokumentarfilm sehr berührt, man spürt die Ängste, den Stolz, die Gleichgültigkeit, die Zuneigung und Abneigung der Protagonisten untereinander. Man spürt die Ruhe und Geduld von Hatidze, die den Film trägt. Die Landschaftsaufnahmen, aber auch die Aufnahmen der Gesichter nehmen einem den Atem. Mehrmals hat mich auch die Schonungslosigkeit von Szenen beeindruckt, beispielsweise wenn die Tochter der türkischen Familie in den Fluss fällt und sehr viel Wasser schluckt. Dass die Kamera hier weiterfilmt ohne abzubrechen fand ich hart, aber diese Schonungslosigkeit und Ehrlichkeit im Umgang mit den Protagonisten hat mir auch sehr gefallen.

    Man merkt eben, wie Samir Ljuma nach der Vorstellung erzählt, dass in dieser langen Zeit die Mitglieder des Kamerateams für die Protagonisten fast zu Familienmitgliedern geworden sind. Wer einen Dokumentarfilm sehen möchte, der einen wirklich in die Welt, die er dokumentiert, hineinzieht, sollte sich diesen Film unbedingt ansehen, auch wenn er vielleicht nicht unbedingt gerne Honig isst.
    reinderl_9ede10016b.jpg
    05.11.2019
    23:42 Uhr
  • Bewertung

    Im Einklang mit den Bienen

    Tamara Kotevskas und Ljubomir Stefanovs atmosphärische Dokumentation über das Leben einer Imkerin konnte beim diesjährigen Sundance Film Festival bereits einige Preise abstauben. Sie wurde außerdem als nordmazedonischer Beitrag für den Auslands-Oscar 2020 nominiert.

    Der Dokumentarfilm begleitet die 55-jährige Hatidze während ihres Alltags als Bienenzüchterin in einem abgelegenen Dorf im Norden Mazedoniens. Hier lebt sie gemeinsam mit der fast blinden Mutter, die sie pflegt, in einem kleinen Häuschen. Als sich eine türkische Familie in der Nähe niederlässt, samt Kinderhorde und Rinderherde, wird das sonst so ruhige Leben der Imkerin auf den Kopf gestellt. Und auch die Welt der Bienen gerät aus der Bahn.

    „Honeyland“ stellt eine Parabel dar, die vom Geben und Nehmen erzählt. Die Ausbeutung der Natur durch den Menschen und der daraus resultierende Profitdrang sind Themen, die die Doku ständig umreißt. Im Zentrum des Gezeigten steht mit Hatidze eine besondere Frau, die mit ihrer sehr offenen, fast schon kindlichen Art schnell die Herzen der Menschen in ihrer Umgebung für sich gewinnen kann. Und auch die Herzen der ZuschauerInnen.

    Wunderschöne Bilder untermalen das äußerst tiefsinnige Portrait einer Frau, die nicht nur von den Bienen lebt, sondern sich auch im Einklang mit ihnen befindet. Bereits die Eröffnungsszene erweist sich als überwältigend, wenn Hatidze sich in die Berge begibt, um aus den Felsspalten den Honig zu sammeln: die engen Bergwege und darunterliegende Schlucht scheinen dabei kein Hindernis zu sein, weder für die Bienenzüchterin noch für das Kamerateam.

    Die Beziehung zu ihrer Mutter stellt darüber hinaus einen weiteren Handlungsstrang dar, der für so manch emotionale Szene sorgt. Hatidze hat ihr Leben der Pflege der alten Mutter verschrieben. Die Beziehung zwischen ihnen ist demnach etwas angespannt, wenn auch sehr herzlich. Die gemeinsamen Szenen enthalten jedenfalls viel Humor, aber auch viele kleine Streitereien kommen zum Vorschein – eine nachvollziehbare Familiendynamik also. Im Kontrast dazu steht die neu ankommende Familie, die mit ihren vielen Kindern auch sehr laut erscheint und so regelrecht in die Umgebung von Hatidze und ihrer Mutter „einbrechen“. Doch Hatidze, gewohnt offen und liebenswürdig, freundet sich schnell mit ihnen an. Und gibt ihnen den wohl wichtigsten Tipp, wenn man sich erfolgreich der Imkerei widmen möchte: Die Hälfte des Honigs muss bei den Bienen gelassen werden!

    Natürlich halten sich die neuen Nachbarn nicht daran und auch hier kommt abermals der leitende menschliche Gedanke nach dem Profit auf Kosten der Umwelt zum Vorschein. Und auch der Umgang mit den Bienen ist eine andere: Wenn der Familienvater auf die Bienen trifft, wirkt er unruhig und gestresst, was viele Bienenstiche zur Folge hat. Wenn Hatidze auf die Bienen trifft, ist sie sehr ruhig, geradezu ein Teil von ihnen. Denn die Bienen gehören nicht nur zu ihrer Welt, sondern sie gehört auch zur Welt der Bienen, so scheint es.

    Jedenfalls erhält man mit „Honeyland“ wahnsinnig schöne Bilder und auch wahnsinnig rührende Momente. Der Filmcrew gelang es, über eine Drehzeit von drei Jahren äußerst intime Momente einzufangen und darüber hinaus auch einen Kommentar über die Verkommenheit der Gesellschaft abzugeben, der aber trotzdem einen Hoffnungsschimmer beinhaltet.
    blob-0-1000-0-1000-crop_b119e26de3.jpg
    04.11.2019
    22:18 Uhr