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    Als wäre das alles nie gewesen

    Im Freisprechen sind die Österreicher Weltmeister, insbesondere im Freisprechen ehemaliger NS-Verbrecher, die sich nach Kriegsende auffällig leise verhalten und ihr biederes Gemeinwohlleben wieder aufgenommen haben. Das geht dann so weit, dass sie als integrer Teil der Gesellschaft unentbehrlich werden. Menschen wie diese, die während des Hitler-Regimes die Freiheit hatten, straflos über anderes, vermeintlich minderwertiges Leben zu richten, sind perfide genug, um so zu tun, als wäre nichts gewesen. Die verlederhoste Trachten-Gemütlichkeit, von der selbst Elfriede Jelinek schon geschrieben hat, beschert dem gern als Opfer unbequemer Zeiten angesehenen Provinz-Spießer die wahre Glückseligkeit. Einer wie Franz Murer, der ist ein Halbgott des Österreichtums, ein geselliger, bisschen kauziger Großgrundbesitzer mit Einfluss auf die Gemeindepolitik, umgeben von rechten Freunden und freundlichen Rechten. Der, so sagt er, sich niemals etwas zuschulden kommen ließ. Schließlich war Murer immer woanders, nur nicht dort, wo Verbrechen passiert sind.

    Manche nannten ihn den Schlächter von Wilna. So ein namentlicher Appendix, der kommt nicht von irgendwoher und auch nicht aus dem Nichts. Als Fleischhauer wird er wohl nicht in die Geschichte eingegangen sein, denn schließlich war Murer Oberaufseher des litauischen Juden-Ghettos, und als Machtperson vor allem einer, dessen lockerer Finger am Abzug gar Frauen und Kindern das Leben gekostet hat. Ein Mann wie er hat Schaden und Schmerz verursacht, dass es ärger nicht hätte gehen können. Ein Mann wie er ist in den Sechzigern zum angesehenen Bürger geworden, wie viele andere auch in diesem schönen Land. Mit Simon Wiesenthal hat dann aber keiner gerechnet. Und so hat es dieser nach seinem Bravourstück mit Adolf Eichmann auch schließlich geschafft, diesen Franz Murer vor Gericht zu bringen.

    Da sitzt der feiste Mittfünfziger mit kaltem Blick und wehleidiger Mine als einer, der nicht glauben kann, was ihm vorgeworfen wird. Ein Gesicht wie dieses, wenn es denn mordet, vergisst wohl niemand von denen, die dabeigewesen waren. Da ist es nicht wichtig, ob die Uniform grün oder schwarz oder dunkelbraun oder hellbraun gewesen war. Was zählt, ist das Konterfei, die ausdruckslose Mine, die Unerbittlichkeit willkürlichen Machtgebrauchs. Die Verteidigung sieht das anders, sie baut ihre Gegenargumentation auf Details wie diese auf. Und vermutet gar eine Verschwörung gegen den Angeklagten, der eine Lobby hinter sich weiß, die bis in die damalige österreichische Regierung reicht. Der Populismus war damals schon en vogue, und so gerät unter der Regie des Filmemachers Christian Frosch die Chronik eines Prozesses zur Leistungsschau autoritär Gesinnter, die als bereitwillige Mitläufer den Nazis eifrig zugearbeitet hätten – oder haben. Denn in den Sechzigern ist das Grauen in Europa bereits schon – oder erst – zwanzig Jahre her. Mord verjährt nie, und eine Anklage will gut vorbereitet sein. In einem Grazer Gerichtssaal wird der Zuseher Zeuge eines bereits im Vorfeld äußerst rechtslastigen Verfahrens, zu dem jüdische Zeugen, die im Ghetto von Wilna auf Murer stießen, geladen und angehört werden. Der Ausgang dieses Prozesses steht in den Annalen der österreichischen Gegenwartsgeschichte: Freispruch in allen Anklagepunkten.

    Für die Rekonstruktion der Ereignisse konnte Frosch eine ganze Menge bekannter Gesichter gewinnen – Karl Fischer gibt das leutselige, scheinbar harmlose Monster im gedeckt grünen Jagdschloss-Look, bei den Zeugenaussagen spielt seine Mimik alle Stücke, während er versucht, nicht der zu sein, für den ihn viele halten. Karl Markovics darf in die Rolle Simon Wiesenthals schlüpfen. Klaus Rott, Susi Stach oder Gerhard Liebmann (grandios in Eismayer) sind drei der acht Geschworenen, Inge Maux zum Beispiel wütet als gedemütigte Jüdin gegen den schierpas erstaunten Murer, der im Heischen nach Mitleid ertrinkt. Dank dieses Ensembles führt Christian Frosch trotz seines nüchternen Inszenierungsstils die eigentliche Ambition hinter Murer – Anatomie eines Prozesses an ihr Ziel: Den authentischen Entwurf eines latent antisemitischen Dunstes, der durch den Gerichtssaal zieht. Zunehmend wird es unbequem, den Aussagen zu folgen, doch weniger wegen der Gräuel, von denen berichtet wird, als vielmehr von der grassierenden Verlachung von Tragödien. Statt Zeugen anzuhören, werden diese verhöhnt, erlittenes Unglück beschwichtigt. Wenn die Exekutivorgane der Justiz beim Freispruch des Schuldigen aus der Befürwortung dessen kein Hehl mehr machen, weiß man, was es geschlagen hat. Murer ist eine fröstelnd machende Bestandsaufnahme eines braun unterwandernden Österreich. Der Advokat des Teufels mag zwar am Ende geläutert sein – die Realität holt jede Fiktion dennoch ein und erzeugt vor einer unbequemen Klangkulisse einen Kloß im Hals, der einhergeht mit der Gewissheit, dass längst noch nicht alles gut ist.


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    21.02.2024
    16:56 Uhr
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    Österreichischer Justizskandal

    Was für ein Film!
    Hier wird am Beispiel des angesehenen österreichischen Bauern Muhrer aufgezeigt, wie sich bei uns in der Nachkriegszeit Kriegsverbrecher trotz eindeutiger Beweise durch Zeugenaussagen Überlebender des Holocaust mit Hilfe von Politik, Wirtschaft und ehemaligen Nazis in höchsten Positionen
    ( in der jungen Republik sogar als Richter beim Muhrerprozess!) der Gerechtigkeit entziehen konnten.
    Erschütternd, dass der "Schlächter von Wilna" frei kommt, während die verzweifelten jüdischen Zeugen ein zweites Mal zum Opfer gemacht werden.
    Großartige Darsteller und der packende Verlauf dieses schändlichen Prozesses lassen die mehr als zwei Stunden, die der Film dauert, wie im Flug vergehen.
    30.11.2018
    19:17 Uhr
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    Zeitgeschichtliche Aufarbeitung

    Ein erschütternder Beitrag darüber, wie (nicht nur) bei uns in Österreich mit Verbrechern gegen die Menschlichkeit umgegangen wurde - auch wenn man schon viel darüber gelesen hat, nimmt einen dieser Film ganz schön mit.
    26.03.2018
    19:56 Uhr
  • Bewertung

    Nachklingender Appell

    Von der Ästhetik her wirkt "Murer - Anatomie eines Prozesses" mit seiner statischen Kamera und seinen entsättigten Farbtönen als ob eine genauso dicke Staubschicht auf der Filmrolle gelegen hätte, wie auf der Verhandlungsakte selbst. Jedoch pustet Christian Frosch mit seiner filmischen Rekonstruktion von Franz Murers Prozess vielmehr den Staub von der Akte und wirbelt dabei viel alten Staub auf, der es sich in der Vergangenheit zu gemütlich gemacht hat.

    Dieses gelungene und berührende Gerichtsdrama erzählt von der Vergangenheit, appelliert dabei aber stark an die Gegenwart. Wenn Murers Opfer und Ankläger ihre Geschichte erzählen, hat man oft den Eindruck, sie erzählen es nicht nur dem Geschworenengericht, sondern vor allem dem Zuschauer. Sie sehen uns dabei leidvoll und wütend an. Damit werden die Zuschauer zu den neuen Geschworenen und zur letzten Chance auf Gerechtigkeit, die Murers Ankläger haben.

    Große Filmempfehlung!
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    15.03.2018
    20:10 Uhr
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    Des Österreichers böse Fratze

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Das Ende des Zweiten Weltkriegs. Österreich wird zum ersten Opfer Nazi-Deutschlands erklärt, die Leute wollen vergessen und verdrängen, und vor allem eines nicht: die eigene Vergangenheit aufarbeiten. Nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags im Jahre 1955 wurden Kriegsgefangene gemäß den Vorgaben zurück an ihre jeweiligen Herkunftsländer überstellt, unter diesen auch der berüchtigte „Schlächter von Vilnius“ Franz Murer, der für die Ermordung von über 5000 Juden verantwortlich war. In Österreich sofort auf freiem Fuß, lebte Murer als Landwirt und ÖVP-Funktionär ein angesehenes Dasein, bis es durch eindringliches Drängen von Simon Wiesenthal 1963 endlich doch zu einem Prozess kam, der entgegen der erdrückenden Beweislast mit einem Freispruch endete. Heute ist dieser Fall in ferner Erinnerung und scheint gar fast vergessen worden zu sein, weshalb Christian Froschs Film „Murer- Anatomie eines Prozesses“ von umso größerer Wichtigkeit ist, denn ein Skandal wie jener um den Prozess Murers darf niemals in Vergessenheit geraten.

    Mit einer beachtlichen Länge von 137 Minuten wird ein minutiöser Überblick über den damaligen Prozessverlauf gegeben, auch die damalige Gemütslage des gemeinen Österreichers wird beleuchtet, auf der einen Seite vom Krieg gebeutelt, auf der anderen Seite immer noch eine tiefbraune Gesinnung. In der Titelrolle als Franz Murer ist Karl Fischer zu sehen, der den Charakter Murers eine beunruhigende Tiefe gibt, Karl Markovic mimt den berüchtigten Simon Wiesenthal, der im Laufe des Films jedoch mehr mit seiner Abwesenheit im Prozess als Drahtzieher im Hintergrund fungiert. Einen besonderen Fokus legt das Gerichtsdrama auf die belastenden Zeugenaussagen. Aus aller Welt von Israel über die Vereinigten Staaten kamen Holocaust-Überlebende angereist, welche Murer eindeutig als Schuldigen identifizieren konnten. Anstatt im Gerichtssaal Gehör zu finden wurden die Opfer der Reihe nach von Murers Verteidiger Böck (genial gespielt von Alexander E. Fennon) denunziert, in ihrer Glaubwürdigkeit bezweifelt und vorgeführt. Eine schwache Leistung der Staatsanwaltschaft (Roland Jaeger als Staatsanwalt Schuhmann), der enorme politische Druck der Regierung, die mit allen Mitteln von einer Schuldsprechung absehen wollte, sowie die Uneinigkeit der Geschworenenjury führen schlussendlich zu dem Ergebnis, vor dem sich die Zeugenschaft so sehr gefürchtet hatte: Murer wird in allen Anklagepunkten freigesprochen und zudem von der österreichischen Bevölkerung wie ein Held gefeiert.

    Der Film überzeugt nicht nur durch pointierte darstellerische Leistungen, eine weitere Stärke des Werks ist der großartige Soundtrack beziehungsweise das Sounddesign, das das immer größer werdende Unbehagen, welches der Prozess vermittelt, auf besondere Art und Weise verdeutlicht. Hie und da hätte der Film sehr wohl gekürzt werden können, die Botschaft des Films wäre so nicht nur erhalten geblieben sondern wohlmöglich sogar verdichtet geworden, auch wenn der Film einen auf emotionaler Ebene total in den Bann zieht und Wut und Fassungslosigkeit im Zuseher auszulösen vermag, so kann der Film ob seines Detailreichtums dennoch langatmig wirken.

    Christian Froschs Drama ist ein mutiges Statement und eine klare Botschaft gegen die Vergessens- und Verdrängungskultur wie sie tief in der österreichischen Seele verwurzelt ist und skizziert eine Welt, in der Gerechtigkeit und Genugtuung nicht existent sind. Ein Film der aktueller und wichtiger nicht sein könnte, und die Leute zur Wachsamkeit aufruft und vor Parallelen zu aktuellen politischen Entwicklungen zu warnen versucht, der sein Publikum mit Kopfschütteln, Zorn und vor allem Nachdenklichkeit zurücklässt.
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    15.03.2018
    10:26 Uhr