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  • Bewertung

    Des Österreichers böse Fratze

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Das Ende des Zweiten Weltkriegs. Österreich wird zum ersten Opfer Nazi-Deutschlands erklärt, die Leute wollen vergessen und verdrängen, und vor allem eines nicht: die eigene Vergangenheit aufarbeiten. Nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags im Jahre 1955 wurden Kriegsgefangene gemäß den Vorgaben zurück an ihre jeweiligen Herkunftsländer überstellt, unter diesen auch der berüchtigte „Schlächter von Vilnius“ Franz Murer, der für die Ermordung von über 5000 Juden verantwortlich war. In Österreich sofort auf freiem Fuß, lebte Murer als Landwirt und ÖVP-Funktionär ein angesehenes Dasein, bis es durch eindringliches Drängen von Simon Wiesenthal 1963 endlich doch zu einem Prozess kam, der entgegen der erdrückenden Beweislast mit einem Freispruch endete. Heute ist dieser Fall in ferner Erinnerung und scheint gar fast vergessen worden zu sein, weshalb Christian Froschs Film „Murer- Anatomie eines Prozesses“ von umso größerer Wichtigkeit ist, denn ein Skandal wie jener um den Prozess Murers darf niemals in Vergessenheit geraten.

    Mit einer beachtlichen Länge von 137 Minuten wird ein minutiöser Überblick über den damaligen Prozessverlauf gegeben, auch die damalige Gemütslage des gemeinen Österreichers wird beleuchtet, auf der einen Seite vom Krieg gebeutelt, auf der anderen Seite immer noch eine tiefbraune Gesinnung. In der Titelrolle als Franz Murer ist Karl Fischer zu sehen, der den Charakter Murers eine beunruhigende Tiefe gibt, Karl Markovic mimt den berüchtigten Simon Wiesenthal, der im Laufe des Films jedoch mehr mit seiner Abwesenheit im Prozess als Drahtzieher im Hintergrund fungiert. Einen besonderen Fokus legt das Gerichtsdrama auf die belastenden Zeugenaussagen. Aus aller Welt von Israel über die Vereinigten Staaten kamen Holocaust-Überlebende angereist, welche Murer eindeutig als Schuldigen identifizieren konnten. Anstatt im Gerichtssaal Gehör zu finden wurden die Opfer der Reihe nach von Murers Verteidiger Böck (genial gespielt von Alexander E. Fennon) denunziert, in ihrer Glaubwürdigkeit bezweifelt und vorgeführt. Eine schwache Leistung der Staatsanwaltschaft (Roland Jaeger als Staatsanwalt Schuhmann), der enorme politische Druck der Regierung, die mit allen Mitteln von einer Schuldsprechung absehen wollte, sowie die Uneinigkeit der Geschworenenjury führen schlussendlich zu dem Ergebnis, vor dem sich die Zeugenschaft so sehr gefürchtet hatte: Murer wird in allen Anklagepunkten freigesprochen und zudem von der österreichischen Bevölkerung wie ein Held gefeiert.

    Der Film überzeugt nicht nur durch pointierte darstellerische Leistungen, eine weitere Stärke des Werks ist der großartige Soundtrack beziehungsweise das Sounddesign, das das immer größer werdende Unbehagen, welches der Prozess vermittelt, auf besondere Art und Weise verdeutlicht. Hie und da hätte der Film sehr wohl gekürzt werden können, die Botschaft des Films wäre so nicht nur erhalten geblieben sondern wohlmöglich sogar verdichtet geworden, auch wenn der Film einen auf emotionaler Ebene total in den Bann zieht und Wut und Fassungslosigkeit im Zuseher auszulösen vermag, so kann der Film ob seines Detailreichtums dennoch langatmig wirken.

    Christian Froschs Drama ist ein mutiges Statement und eine klare Botschaft gegen die Vergessens- und Verdrängungskultur wie sie tief in der österreichischen Seele verwurzelt ist und skizziert eine Welt, in der Gerechtigkeit und Genugtuung nicht existent sind. Ein Film der aktueller und wichtiger nicht sein könnte, und die Leute zur Wachsamkeit aufruft und vor Parallelen zu aktuellen politischen Entwicklungen zu warnen versucht, der sein Publikum mit Kopfschütteln, Zorn und vor allem Nachdenklichkeit zurücklässt.
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    (Julia Pogatetz)
    15.03.2018
    10:26 Uhr