Femme

Bewertung durch Filmgenuss  75% 
Durchschnittliche Bewertung 82%
Anzahl der Bewertungen 3

Forumseintrag zu „Femme“ von Filmgenuss


filmgenuss_logo_quadrat_2a3baf4bcc.jpg
Filmgenuss (01.10.2023 17:59) Bewertung
Vom Mann, der seiner Frau steht
Damit hatten schon Albert und Renato in Ein Käfig voller Narren kämpfen müssen: Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz durch alle Schichten, vor allem durch jene, die sich’s längst gerichtet haben und aufgestiegen sind zum Kulturattachée, wie der Vater der jungen Andrea, die ein Auge auf Renatos Sohn geworfen hat. Beide wollen heiraten, und um sich gegenseitig kennenzulernen, muss der schwule Besitzer eines Nachtclubs die versnobten Eltern zum Dinner laden. Liebling Alberto, Dragqueen bar excellence und längst eine Diva, ist gar nicht davon begeistert, ist er doch nicht mal willkommen und muss stattdessen zusehen, wie Renatos Exfrau seinen Platz einnimmt. Es wird klar: Als Dragqueen hatte man schon damals keine Chancen auf Akzeptanz. Und Schwulsein war etwas, das man hinter verschlossenen Türen praktiziert hat, ohne auch nur im Traum daran zu denken, sich irgendwo auf offener Straße zu committen.

Jean Poirets Theaterstück hat diese bedenkliche Inakzeptanz in einen zeitlosen Komödienklassiker verpackt, der zwar vordergründig ordentlich Lacher lukriert, in Wahrheit aber gesellschaftliche Defizite aufzeigt, die auf Kosten von Toleranz, Respekt und sexueller Freiheit ihr Unwesen trieben. Dabei hat der Job einer Dragqueen gar nichts mit sexuellen Präferenzen zu tun. Es können sich auch Hetero-Männer in den Fummel werfen, solange es Spaß macht und Frau die Bühne rockt – Why not? Meistens jedoch, und jedenfalls hier, im immersiven Beziehungsthriller Femme, ist der Star unterm Rampenlicht ein homosexueller Mann namens Jules, der die mit Verve und Stilsicherheit ausgestattete Aphrodite Banks zum Leben erweckt – mit Rasta-Mähne, eleganter Mode und perfekt sitzender Choreografie. Die Besucher toben, und wenn Aphrodite auftritt, gibt’s Glanz und Glamour. Nicht so außerhalb des Clubs. Denn da gibt’s Leute, die Dragqueens nicht mögen. Wie zum Beispiel der aggressive, Gift und Galle spritzende Preston, der anfangs die Gunst von Jules, immer noch gekleidet als Frau, auf sich zieht, was ihm gar nicht behagt. Wenig später, beim Zigarettenholen, passiert das Unausweichliche: Jules wird von Preston und seiner Gang angegangen, zusammengeschlagen und nackt und gebrochen auf der Straße liegengelassen. Ein Akt aus purem Hass. Jules aka Aphrodite wird diese Gesichter niemals vergessen, schon gar nicht das des Rädelsführers. Als Jules diesen in der Schwulensauna Monate später wiedererkennt, plant er, sich ihm anzunähern. Aus Rache, aus Neugier, wer weiß das schon so genau. Vor allem, um diesem Gewalttäter eine Lektion zu erteilen.

Als Revenge-Thriller würde ich Femme nicht unbedingt bezeichnen wollen. Diese Kategorisierung macht es sich zu einfach. Der auf der diesjährigen Berlinale erstmals präsentierte Film von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping lässt sich schwer in eine Genre-Schublade stecken. Natürlich trägt er die Anzeichen eines Thrillers, doch diese sind versteckt, subtil, finden sich stets in einer diffusen, von Spannungen aufgeladenen Atmosphäre wieder, aus der sich alles entwickeln kann. Eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung zum Beispiel, oder ein gelungenes Vabanquespiel, denn nichts anderes hat Jules im Sinn. Er will in Prestons Leben Platz gewinnen, so erniedrigend dies auch manchmal sein mag, insbesondere beim Sex. Da niemand weiß, dass Preston selbst schwul ist, scheint ein erzwungenes Outing die beste Methode, um ihn dranzukriegen. Wie sich diese Liaison aus Gehorchen und dem Sabotieren von Gefühlen letztlich entwickelt, bleibt fesselnd, nicht zuletzt aufgrund der eindringlichen Performance von Nathan Stewart-Jarrett (Dom Hemingway, Candyman). Ob dieser tatsächlich schwul ist oder nicht, braucht ja niemanden zu interessieren, denn im Gegensatz zu den Meinungen vieler „Wokisten“ ist Schauspielern nun mal die Kunst, in andere Rollen zu schlüpfen, eben auch in jene von Leuten, die sexuell anders orientiert sind. Wie auch immer Stewart-Jarretts Privatleben aussieht: als gekränkter, seelisch verletzter Mann, der wieder zurück zu seinem Selbstwert gelangen möchte und dabei die Ursache seiner Niederlage analysiert, um sie dann auszuquetschen wie eine Zitrone, spielt der charismatische Künstler auf der gesamten emotionalen Klaviatur, und das mit mimischer Akkuratesse, ohne nachzulassen und ohne vielleicht zu dick aufzutragen, mit Ausnahme des Makeups.

Diese Meisterleistung teil sich Stewart-Jarrett mit George McKay, den wir alle schließlich auch Sam Mendes 1917 kennen und der auch mal gerne ambivalente Rollen spielt, wie zum Beispiel diesen Ned Kelly im wüsten Australien-Western Outlaws. Als tätowierter Grenzgänger in steter Gewaltbereitschaft, mit unverhandelbaren Prinzipien und dann plötzlich wieder verletzlichem Charme ist das wohl eine der besten Darbietungen seiner Karriere. Beide ergänzen sich prächtig: beide entwickeln einen Sog aus psychologischer Manipulation, Freiheitskampf und Selbstbehauptung, dabei isolieren Freeman und Ping ihre beiden Akteure von allem anderen Beiwerk, rücken so nah wie möglich heran und bleiben stets so konzentriert, als würden sie durch ein Zielfernrohr blicken.

Doch wenn Femme schon kein klassischer Revenge-Thriller mit Bomben, Granaten und Shootouts ist, so ist er zumindest der Film Noir unter den queeren Filmen – grobkörnig bebildert, direkt und authentisch. Und düster genug, um nicht auf ein Happy End zu hoffen.


Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!
 
 

zum gesamten Filmforum von „Femme“
zurück zur Userseite von Filmgenuss