Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
Einfach zu konsumieren ist „Femme“ nicht, auch wenn das Grundgerüst eine geradlinige Vergeltungsgeschichte ist. Der Film von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping hat zwar eine klassische Form, die mit Leben gefüllt wird, aber gegen Genre-Stereotype. Kein actiongeladenes Popcornkino, eher ein Film zum Nachdenken, zum Eintauchen in eine für viele unbekannte Welt, in eine queere Community in London. Dabei hochgradig spannend.
Die beiden Regisseure (und gleichzeitig Drehbuchautoren) erzählen eine Revenge-Story. Im Mittelpunkt steht Jules, ein junger, schwuler Mann, der als Dragqueen in einem Club auftritt. Eines Nachts wird er kurz danach von einer Männergruppe attackiert und verletzt. Ein einschneidendes Erlebnis, das sein Leben aus den Fugen geraten lässt. Ausgerechnet in einer Schwulensauna trifft er den Anführer seiner Peiniger, der ihn nicht als sein Opfer wiedererkennt. Jules beschließt, sich zu rächen. Dazu verführt er ihn und schleicht sich in dessen Leben ein. Ein gefährliches Spiel, denn Preston neigt zu Gewaltausbrüchen und scheint alles zu tun, um seine sexuelle Neigung weiter geheim zu halten.
„Femme“ ist dank der genau beobachteten Charakter- und Milieuzeichnung mehr als ein einfacher Rachethriller, den man eben schon (zu?) oft gesehen hat. Die Regisseure greifen bekannte Elemente auf, trotzdem zwängen sie die Geschichte und Figuren nicht in ein starres Korsett. Gerade die Protagonisten dürfen in ihrer Komplexität auftreten, verschiedene Gesichter zeigen, sich verändern. Das war den beiden wichtig, haben sie im Gespräch nach dem Film verraten.
Ein solch nuanciertes Porträt kann nur mit schauspielerischer Kraft gelingen. Nathan Stewart-Jarrett zeigt als Jules dem Publikum seine selbstbewusste Seite, macht aber auch die Unsicherheit und Angst nach der Attacke spürbar, später die Entschlossenheit, sich sein Leben zurückzuerobern. Und das sind nur einige Facetten seiner emotionalen Reise, die im Film eingefangen werden. Sein Gegenspieler und gleichzeitig Partner fügt sich ebenbürtig in die Geschichte ein. George MacKay verkörpert Preston in all seiner innerlichen Zerrissenheit. Mit einer gewaltigen Präsenz bringt er den aggressiven, jähzornigen Schläger zum Vorschein; jene Rolle vor seinen Freunden, die ihn in emotional aufwühlenden Situationen ebenso prägt. Er lässt die ständige Anspannung erahnen, unter der Preston als von den eigenen Vorlieben Getriebener steht, die nicht in sein Weltbild beziehungsweise das seiner Umgebung passen. Zwei Figuren unter Strom, bei jeder Begegnung, bis zum Showdown.
Die Spannung um und im Inneren der Figuren ist ständiger Begleiter, denn es geht um viel mehr als eine körperliche Verletzung, physische Gewalt. Obwohl auch diese die Geschichte unterstützt, sie wird gezeigt, ins Bild gesetzt, nüchtern, ohne Glorifizierung. Auf dem Spiel steht die eigene Identität, für Jules und Preston. Rache ist ein Mittel, die Opferrolle zu verlassen, die einem ein tätlicher Angriff aufzwingt. Oder? Und der Täter? „Femme“ lässt schnell die Grenzen der Rollen verschwimmen, was der Geschichte Tiefe verleiht.
„Femme“ porträtiert den erbitterten Kampf um die Umkehr der Rollen beziehungsweise des Machtgefüges über Sex mit Präzision und Brutalität. Symbole wie Kleidung sind erzählerisch clever in die Geschichte eingeflochten. Ebenso aufgeladen sind die Räume, in denen sich die Protagonisten bewegen. Sie sind subtile Anspielungen auf Konzepte wie Freiheit, Weite, Sicherheit beziehungsweise Enge und Gefangensein; eine gewollte Form der Inszenierung, so die Regisseure. Ein Stadtbild.
Der queere Rachethriller versucht, möglichst authentisch zu bleiben, was zum Großteil gelingt. Manchmal wird etwas dick aufgetragen, aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Denn sobald der Fokus auf den beiden Männern ist, kann man sich der emotionalen Spannung kaum entziehen. Das vielschichtige Porträt bewegt sich unaufhaltsam hin zum Höhepunkt. Zur unvermeidlichen Entladung. „Femme“ ist ein spannender, drängender und in seiner emotionalen und physischen Brutalität manchmal schwer zu ertragender Rachethriller. Einer, der im Gedächtnis bleiben kann und in seiner Kraft nachhallt.