Forum zu Femme

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81.7% Bewertung
  • Bewertung

    Nervenaufreibender Rachethriller

    Ein besonderes Highlight am diesjährigen Slash Filmfestival war "Femme" von
    Sam H. Freeman und Ng Choon Ping.
    Der Film folgt einem jungen Mann, der sich nach einem Hassverbrechen aus seiner Opferrolle kämpft und seinen Peiniger zur Gerechtigkeit bringen will.
    Als Protagonisten zu sehen sind George MacKay (bekannt aus "1917") und Nathan Stewart-Jarrett (Candyman, Misfits)
    In ihren respektiven Figuren laufen beide Darsteller zu Höchstformen auf und stoßen dabei beinahe an ihre körperlichen und emotionalen Grenzen.
    Nichts für schwache Nerven!
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    06.10.2023
    10:36 Uhr
  • Bewertung

    Verschwimmende Grenzen im intimen Machtkampf zwischen Opfer und Täter

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Einfach zu konsumieren ist „Femme“ nicht, auch wenn das Grundgerüst eine geradlinige Vergeltungsgeschichte ist. Der Film von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping hat zwar eine klassische Form, die mit Leben gefüllt wird, aber gegen Genre-Stereotype. Kein actiongeladenes Popcornkino, eher ein Film zum Nachdenken, zum Eintauchen in eine für viele unbekannte Welt, in eine queere Community in London. Dabei hochgradig spannend.

    Die beiden Regisseure (und gleichzeitig Drehbuchautoren) erzählen eine Revenge-Story. Im Mittelpunkt steht Jules, ein junger, schwuler Mann, der als Dragqueen in einem Club auftritt. Eines Nachts wird er kurz danach von einer Männergruppe attackiert und verletzt. Ein einschneidendes Erlebnis, das sein Leben aus den Fugen geraten lässt. Ausgerechnet in einer Schwulensauna trifft er den Anführer seiner Peiniger, der ihn nicht als sein Opfer wiedererkennt. Jules beschließt, sich zu rächen. Dazu verführt er ihn und schleicht sich in dessen Leben ein. Ein gefährliches Spiel, denn Preston neigt zu Gewaltausbrüchen und scheint alles zu tun, um seine sexuelle Neigung weiter geheim zu halten.

    „Femme“ ist dank der genau beobachteten Charakter- und Milieuzeichnung mehr als ein einfacher Rachethriller, den man eben schon (zu?) oft gesehen hat. Die Regisseure greifen bekannte Elemente auf, trotzdem zwängen sie die Geschichte und Figuren nicht in ein starres Korsett. Gerade die Protagonisten dürfen in ihrer Komplexität auftreten, verschiedene Gesichter zeigen, sich verändern. Das war den beiden wichtig, haben sie im Gespräch nach dem Film verraten.

    Ein solch nuanciertes Porträt kann nur mit schauspielerischer Kraft gelingen. Nathan Stewart-Jarrett zeigt als Jules dem Publikum seine selbstbewusste Seite, macht aber auch die Unsicherheit und Angst nach der Attacke spürbar, später die Entschlossenheit, sich sein Leben zurückzuerobern. Und das sind nur einige Facetten seiner emotionalen Reise, die im Film eingefangen werden. Sein Gegenspieler und gleichzeitig Partner fügt sich ebenbürtig in die Geschichte ein. George MacKay verkörpert Preston in all seiner innerlichen Zerrissenheit. Mit einer gewaltigen Präsenz bringt er den aggressiven, jähzornigen Schläger zum Vorschein; jene Rolle vor seinen Freunden, die ihn in emotional aufwühlenden Situationen ebenso prägt. Er lässt die ständige Anspannung erahnen, unter der Preston als von den eigenen Vorlieben Getriebener steht, die nicht in sein Weltbild beziehungsweise das seiner Umgebung passen. Zwei Figuren unter Strom, bei jeder Begegnung, bis zum Showdown.

    Die Spannung um und im Inneren der Figuren ist ständiger Begleiter, denn es geht um viel mehr als eine körperliche Verletzung, physische Gewalt. Obwohl auch diese die Geschichte unterstützt, sie wird gezeigt, ins Bild gesetzt, nüchtern, ohne Glorifizierung. Auf dem Spiel steht die eigene Identität, für Jules und Preston. Rache ist ein Mittel, die Opferrolle zu verlassen, die einem ein tätlicher Angriff aufzwingt. Oder? Und der Täter? „Femme“ lässt schnell die Grenzen der Rollen verschwimmen, was der Geschichte Tiefe verleiht.

    „Femme“ porträtiert den erbitterten Kampf um die Umkehr der Rollen beziehungsweise des Machtgefüges über Sex mit Präzision und Brutalität. Symbole wie Kleidung sind erzählerisch clever in die Geschichte eingeflochten. Ebenso aufgeladen sind die Räume, in denen sich die Protagonisten bewegen. Sie sind subtile Anspielungen auf Konzepte wie Freiheit, Weite, Sicherheit beziehungsweise Enge und Gefangensein; eine gewollte Form der Inszenierung, so die Regisseure. Ein Stadtbild.

    Der queere Rachethriller versucht, möglichst authentisch zu bleiben, was zum Großteil gelingt. Manchmal wird etwas dick aufgetragen, aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Denn sobald der Fokus auf den beiden Männern ist, kann man sich der emotionalen Spannung kaum entziehen. Das vielschichtige Porträt bewegt sich unaufhaltsam hin zum Höhepunkt. Zur unvermeidlichen Entladung. „Femme“ ist ein spannender, drängender und in seiner emotionalen und physischen Brutalität manchmal schwer zu ertragender Rachethriller. Einer, der im Gedächtnis bleiben kann und in seiner Kraft nachhallt.
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    03.10.2023
    20:25 Uhr
  • Bewertung

    Vom Mann, der seiner Frau steht

    Damit hatten schon Albert und Renato in Ein Käfig voller Narren kämpfen müssen: Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz durch alle Schichten, vor allem durch jene, die sich’s längst gerichtet haben und aufgestiegen sind zum Kulturattachée, wie der Vater der jungen Andrea, die ein Auge auf Renatos Sohn geworfen hat. Beide wollen heiraten, und um sich gegenseitig kennenzulernen, muss der schwule Besitzer eines Nachtclubs die versnobten Eltern zum Dinner laden. Liebling Alberto, Dragqueen bar excellence und längst eine Diva, ist gar nicht davon begeistert, ist er doch nicht mal willkommen und muss stattdessen zusehen, wie Renatos Exfrau seinen Platz einnimmt. Es wird klar: Als Dragqueen hatte man schon damals keine Chancen auf Akzeptanz. Und Schwulsein war etwas, das man hinter verschlossenen Türen praktiziert hat, ohne auch nur im Traum daran zu denken, sich irgendwo auf offener Straße zu committen.

    Jean Poirets Theaterstück hat diese bedenkliche Inakzeptanz in einen zeitlosen Komödienklassiker verpackt, der zwar vordergründig ordentlich Lacher lukriert, in Wahrheit aber gesellschaftliche Defizite aufzeigt, die auf Kosten von Toleranz, Respekt und sexueller Freiheit ihr Unwesen trieben. Dabei hat der Job einer Dragqueen gar nichts mit sexuellen Präferenzen zu tun. Es können sich auch Hetero-Männer in den Fummel werfen, solange es Spaß macht und Frau die Bühne rockt – Why not? Meistens jedoch, und jedenfalls hier, im immersiven Beziehungsthriller Femme, ist der Star unterm Rampenlicht ein homosexueller Mann namens Jules, der die mit Verve und Stilsicherheit ausgestattete Aphrodite Banks zum Leben erweckt – mit Rasta-Mähne, eleganter Mode und perfekt sitzender Choreografie. Die Besucher toben, und wenn Aphrodite auftritt, gibt’s Glanz und Glamour. Nicht so außerhalb des Clubs. Denn da gibt’s Leute, die Dragqueens nicht mögen. Wie zum Beispiel der aggressive, Gift und Galle spritzende Preston, der anfangs die Gunst von Jules, immer noch gekleidet als Frau, auf sich zieht, was ihm gar nicht behagt. Wenig später, beim Zigarettenholen, passiert das Unausweichliche: Jules wird von Preston und seiner Gang angegangen, zusammengeschlagen und nackt und gebrochen auf der Straße liegengelassen. Ein Akt aus purem Hass. Jules aka Aphrodite wird diese Gesichter niemals vergessen, schon gar nicht das des Rädelsführers. Als Jules diesen in der Schwulensauna Monate später wiedererkennt, plant er, sich ihm anzunähern. Aus Rache, aus Neugier, wer weiß das schon so genau. Vor allem, um diesem Gewalttäter eine Lektion zu erteilen.

    Als Revenge-Thriller würde ich Femme nicht unbedingt bezeichnen wollen. Diese Kategorisierung macht es sich zu einfach. Der auf der diesjährigen Berlinale erstmals präsentierte Film von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping lässt sich schwer in eine Genre-Schublade stecken. Natürlich trägt er die Anzeichen eines Thrillers, doch diese sind versteckt, subtil, finden sich stets in einer diffusen, von Spannungen aufgeladenen Atmosphäre wieder, aus der sich alles entwickeln kann. Eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung zum Beispiel, oder ein gelungenes Vabanquespiel, denn nichts anderes hat Jules im Sinn. Er will in Prestons Leben Platz gewinnen, so erniedrigend dies auch manchmal sein mag, insbesondere beim Sex. Da niemand weiß, dass Preston selbst schwul ist, scheint ein erzwungenes Outing die beste Methode, um ihn dranzukriegen. Wie sich diese Liaison aus Gehorchen und dem Sabotieren von Gefühlen letztlich entwickelt, bleibt fesselnd, nicht zuletzt aufgrund der eindringlichen Performance von Nathan Stewart-Jarrett (Dom Hemingway, Candyman). Ob dieser tatsächlich schwul ist oder nicht, braucht ja niemanden zu interessieren, denn im Gegensatz zu den Meinungen vieler „Wokisten“ ist Schauspielern nun mal die Kunst, in andere Rollen zu schlüpfen, eben auch in jene von Leuten, die sexuell anders orientiert sind. Wie auch immer Stewart-Jarretts Privatleben aussieht: als gekränkter, seelisch verletzter Mann, der wieder zurück zu seinem Selbstwert gelangen möchte und dabei die Ursache seiner Niederlage analysiert, um sie dann auszuquetschen wie eine Zitrone, spielt der charismatische Künstler auf der gesamten emotionalen Klaviatur, und das mit mimischer Akkuratesse, ohne nachzulassen und ohne vielleicht zu dick aufzutragen, mit Ausnahme des Makeups.

    Diese Meisterleistung teil sich Stewart-Jarrett mit George McKay, den wir alle schließlich auch Sam Mendes 1917 kennen und der auch mal gerne ambivalente Rollen spielt, wie zum Beispiel diesen Ned Kelly im wüsten Australien-Western Outlaws. Als tätowierter Grenzgänger in steter Gewaltbereitschaft, mit unverhandelbaren Prinzipien und dann plötzlich wieder verletzlichem Charme ist das wohl eine der besten Darbietungen seiner Karriere. Beide ergänzen sich prächtig: beide entwickeln einen Sog aus psychologischer Manipulation, Freiheitskampf und Selbstbehauptung, dabei isolieren Freeman und Ping ihre beiden Akteure von allem anderen Beiwerk, rücken so nah wie möglich heran und bleiben stets so konzentriert, als würden sie durch ein Zielfernrohr blicken.

    Doch wenn Femme schon kein klassischer Revenge-Thriller mit Bomben, Granaten und Shootouts ist, so ist er zumindest der Film Noir unter den queeren Filmen – grobkörnig bebildert, direkt und authentisch. Und düster genug, um nicht auf ein Happy End zu hoffen.


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    01.10.2023
    17:59 Uhr