Transit

Bewertung durch chrosTV  90% 
Durchschnittliche Bewertung 85%
Anzahl der Bewertungen 4

Forumseintrag zu „Transit“ von chrosTV

1705313743158_ee743960d9.jpg
chrosTV (25.04.2018 22:57) Bewertung
On a road to nowhere
Die deutsche Schriftstellerin Anna Seghers veröffentlichte unter dem Titel "Transit" im Jahre 1947 einen semi-autobiographischen Roman, den sie während ihrer Zeit im mexikanischen Exil Anfang der 40er-Jahre verfasste. In diesem erzählte sie von Exilanten, die während des Zweiten Weltkriegs in Marseilles auf nötige Visa oder Bescheinigungen warten müssen, die es ihnen erlauben würden, den Kontinenten zu verlassen. Unter diesen befindet sich auch der namenlose Protagonist, der mit den Papieren eines verstorbenen Mannes, schnellstmöglich aus Europa flüchten möchte. Während seiner elendigen Warterei trifft er auf die junge Marie, die sehnlichst auf die Ankunft ihres Mannes wartet. In ihrer Einsamkeit beginnen die beiden eine Affäre zueinander.

Eben dieser Geschichte widmet sich Regisseur Christian Petzold (u.A.: Phoenix, Barbara) in seinem Film, der den gleichnamigen Titel trägt. Das Besondere: Petzold hat das ursprüngliche Setting des Romans in die Moderne verfrachtet und den namenlosen Protagonisten in Georg umgetauft. Obwohl der Film also narrativ trotzdem noch zur Zeit des Dritten Reiches angesiedelt ist, bewegen sich die Figuren optisch gesehen im 21. Jahrhundert fort. Eine stilistische Entscheidung, die einige Zuschauer vermutlich abschrecken wird und eventuell sehr schräg daherkommen könnte.

Eben diese Entscheidung ist aber genau der Aspekt des Films, der das Drama in meinen Augen qualitativ aus der Vielzahl deutscher Kriegsfilme herausragen lässt. Durch die Verfrachtung des Settings lässt Petzold sein Werk nämlich nie zur klassischen Holocaust-Aufarbeitung verkommen, sondern wird zu einer zeitlosen Parabel über Menschen auf der Flucht. In einer Zeit, in der die Flüchtlingsthematik aktueller denn je ist, könnte dieser Film kaum zu einem besseren Zeitpunkt in die Kinos kommen.

Durch die moderne Szenerie und den deutschsprachigen Protagonisten fällt es einem auch als sicherer Europäer besonders einfach in den Film einzutauchen und mit den Schicksalen der Charaktere mitzufiebern. Petzold verdeutlicht somit auf unbequeme Art und Weise wie auch heutzutage noch des Öfteren mit Flüchtlingen umgegangen wird.

Georg (von einem unglaublich ausdrucksstarken Franz Rogowski verkörpert) wird gleich zu Beginn gesagt, dass er nur in Marseilles verweilen darf, wenn er denn nachweisen kann, dass er die Stadt auch wieder verlassen kann. Eben diese Objektifizierung von sich der Flucht befindenden Menschen, lässt große Parallelen zur Behandlung von Flüchtlingen im 21. Jahrhundert ziehen. Anstatt ihnen mit Empathie entgegen zu kommen, lassen wir Leute, die fast alles verloren haben, noch zusätzlich auf ihrer existenziellen Ungewissheit sitzen. Durch die Liebesgeschichte, die hier auf eine fast schon Film noir-esque Art und Weise kreiert wird, zeigt Petzold, dass Zuneigung und Liebe oft die größte Rettung für Menschen in der Not sein können.

Wenn dann im Abspann auch noch "Road to Nowhere" von Talking Heads erklingt, wird die Botschaft des Films noch einmal deutlich gemacht: In der (auch heute) oft inhumanen Behandlung von Flüchtenden, werden diese ohne festen Bescheid zumeist einfach wie Objekte, von Land zu Land geschickt und müssen zudem häufig Spott und Hohn auf sich ziehen. Sie befinden sich somit auf einer Straße ins Nirgendwo. Der Ausweg? Empathie und Menschlichkeit.

"Transit" ist ein filmisches Experiment, das in seiner schonungslosen Darstellung die Odysee einer Gruppe europäischer Flüchtlinge in einem zeitgemäßen Setting thematisiert. Sehr kraftvolles Kino aus Deutschland!
 
 

zum gesamten Filmforum von „Transit“
zurück zur Userseite von chrosTV