Berlinale 2009
Interview mit Helmut Köpping

Interview mit Helmut Köpping

Uncut im Gespräch mit dem Hauptdarsteller von Michael Glawoggers neuem Film „Das Vaterspiel“.

Uncut: Die „Diagnonale“ in Graz wird Dir wahrscheinlich besser bekannt sein als die „Berlinale“. Warst Du eigentlich schon einmal auf der Berlinale, nur so als Besucher?
Helmut Köpping: Ich bin zum ersten Mal hier, überhaupt. Ich bin mit der Produktion „Das Vaterspiel“ zum allerersten Mal hier. Für mich ist das alles sehr neu und aufregend, als Gast war ich noch nie hier, auch nicht als Schauspieler und Regisseur.

Uncut: Stichwort Schauspieler und Regisseur: bisher hast Du ja als Schauspieler und Autor gearbeitet, Dein erster Film „Kotsch“ war im Jahre 2006, in Michael Glawoggers Film „Nacktschnecken“ hast Du eine kleine Nebenrolle, jetzt sehen wir Dich in der ersten Hauptrolle. Der Film steht und fällt mit „Ratz“, war es Michael Glawoggers Wunsch, dass Du die Rolle spielst oder kam der Vorschlag von Dir?
Helmut Köpping: Michael hat an der Drehbuchfassung gearbeitet und hat sie mir zum Lesen gegeben. Den Roman kannte ich bereits. Den Umgang mit diesem umfangreichen Text, wie er es geschafft hat, ihn zu verdichten, das fand ich sehr spannend. Erst nachher, als er bereits eine überarbeitete Fassung geschrieben hatte, fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, die Rolle zu übernehmen. Wie Du sagst, verbindet uns eine gemeinsame Geschichte, wir kennen uns sehr gut und ich hatte ja in den „Nacktschnecken“ eine kleine Rolle übernommen. Auch im nächsten Film „Contact High“, einem quasi Spin-Off davon, werde ich auch eine kleine Rolle übernehmen. Es war für mich eine Ehre und ein richtiger Glücksfall, so etwas übernehmen zu düfen, also habe ich auch nicht gezögert. Ich vertraue Michael Glawogger und schätze seine Arbeit sehr. Also hab ich zu ihm gesagt: „Wenn Du Dir das vorstellen kannst, dass ich diese Rolle übernehme, dann gehe ich gerne diesen Weg mit Dir.“

Uncut: Das heißt, es war niemand anderer für die Rolle vorgesehen?
Helmut Köpping: Ich glaube, ja. Ich habe nämlich den Eindruck, dass Michael beim Schreiben des Drehbuchs ab einem gewissen Zeitpunkt damit beginnt, die Figuren für die Schauspielerinnen und Schauspieler zu schreiben, die sie spielen werden, er denkt sie quasi mit hinein. In diesem Film ist es besonders, dass er ganz verschiedene Menschen zusammenholt, verschiedene Schauspielstile zusammenbringt, deshalb finde ich den Film auch so reich und vielfältig. Angefangen bei Christian Tramitz, der irrsinnig viel Komik bisher gemacht hat bis hin zu Itzak und Samuel Finzi, Ulrich Tukur, Franziska Weisz... lauter verschiedene Stile. Diese „Ratz“-Figur begegnet all diesen Figuren, wie eine Reise durch dieses Spieler-Universum.

Uncut: Es ist Dir also nicht schwer gefallen, die Rollen zu tauschen vom Regisseur zum Darsteller?
Helmut Köpping: Also eigentlich nicht, aber das hat viel mit dem Vertrauen zu Michael zu tun. Die Qualität seiner Arbeit ist, dass er den Spielern guten Halt und gute Freiheit gibt. Du hast das Gefühl, Dich frei bewegen zu können und musst keine überbordenden Aufträge erfüllen und kannst Deinen Instinkten folgen. Gleichzeitig hat er eine genaue Vorstellung, was daraus werden wird.

Uncut: Von Clint Eastwood und Kevin Costner wird erzählt, dass sie sich bei der gemeinsamen Arbeit zu „Perfect World“ am Set absolut nicht leiden konnten, weil Eastwood kein so akribisch genauer Planer ist wie Kevin Costner. Wie ist Michael für Dich als Regisseur, lässt er Euch viel improvisieren?
Helmut Köpping: Oft war es so, dass die Szenen besprochen wurden, man liest den Text, assoziiert dazu und dann gibt es einen Probelauf in der konkreten Raumsituation, die den Eindruck natürlich auch mit beeinflusst. Dieser Probelauf ist dafür da, dass sich alle wie Skifahrer „einfahren“ können, bevor er dann losgeht. Gedreht wird aber relativ schnell, damit alles das, was im Moment da ist, frisch zu halten.

Uncut: Der Film ist u.a. auch in den USA gedreht worden. Wie hast Du die Dreharbeiten erlebt? Für die Bevölkerung ist es in den USA sicherlich nichts Ungewöhnliches, wenn in ihrer Straße eine Filmcrew durch die Gegend läuft, hierzulande zieht man ja doch gleich Blicke auf sich. Wie hast Du das erlebt?
Helmut Köpping: Also das war in New York natürlich aufregend. Ungefähr 2 Wochen waren wir dort. Es gibt in der Organisation und in der Abwicklung der Drehs drüben andere Zuordungen als hier. Es war ein kleines Team, das drüben gedreht hat, es hat super funktioniert. Wir hatten eine eigene lokale Produktionsfirma engagiert, die von einer gebürtigen Deutschen geleitet wird, die schon seit mehr als 20 Jahren dort arbeitet. Die Stimmung in der Stadt war sehr inspirierend für uns alle, weil es dem Roman ja sehr entspricht.

Uncut: New York ist ja als DIE Einwandererstadt für ein solches Thema prädestiniert, es werden in New York jedes Jahr sehr viele, wenn nicht sogar die meisten Filme, in denen es um eine Großstadt geht, gedreht. Hat es einen Unterschied gemacht, dass Ihr drüben wart und nicht in einem Set in Europa?
Helmut Köpping: Absolut! Es war Michael sehr wichtig und ich finde es im Film z.B. super, dass es kein klassisches Skyline-Bild von New York zu sehen gibt, als die beiden mit dem Auto in die Stadt fahren, man erkennt nur die Großstadt. Trotzdem spürst Du die Weltstadt in dem Moment. Michael hat ja selber lange dort gelebt und mag keine Abziehbilder der Stadt in seinem Film, sondern sucht sich die Plätze, die für ihn am besten das widerspiegeln, was er zeigen möchte, das können auch „Un-Orte“ sein, die typisch sind für eine Stadt.

Uncut: Deshalb auch keine Szene am „Times Square“...
Helmut Köpping: Genau! (lacht)

Uncut: Eine Frage zum Charakter von „Ratz“: er hat unübersehbar eine gestörte Beziehung zu seinem Vater. Mir war im Film nicht klar, woher dieser Hass zu seinem Vater letzten Endes wirklich kommt. Was meinst Du, was ist der letzte Grund dafür?
Helmut Köpping: Ich glaube, es gibt zwischen den beiden eine Unfähigkeit, zu kommunizieren. Sie schaffen es nicht mehr, miteinander zu reden, sich zu sehen. Ratz verspürt eher Solidarität, Liebe und Zuneigung seiner Mutter gegenüber. Als er erlebt, dass sein Vater die Mutter im Stich lässt und er zusehen muss, wie sie zugrunde geht, verstärkt das diese „Nicht-Beziehung“ noch mehr und verwandelt sie in einen solchen Hass um. Die Grausamkeit liegt in dieser Unmöglichkeit drinnen, Hass ist ja auch so etwas wie ein Versuch, irgendetwas vom Anderen zu bekommen. Die Ironie im Film ist ja, dass der Vater das Spiel seines Sohnes cool findet und es sogar selber am Computer spielt.

Uncut: Ist das eine Deutung des Regisseurs oder steht diese Szene so auch im Buch?
Helmut Köpping: (lacht), nein das ist eine Deutung, die sich Michael erlaubt hat. Den klaren Gegensatz zwischen Gut und Böse gibt es in dem Film ja nicht, man muss sich diese Brücke ein Stück weit selber bauen, wenn man den Film sieht.

Uncut: Was mir auch aufgefallen ist, ist, dass er in dem Computerspiel seinen Vater ja nicht nur einmal umbringt, sondern wieder und wieder, viele hundert Mal. Er kommt nie an einen Punkt, an dem er zufrieden wäre. Die Tragik dessen erreicht ihren Höhepunkt, als Ratz’ Vater plötzlich wegstirbt und er ihm die Möglichkeit nimmt, sich auszusöhnen. Ist das, sozusagen, die Tragik der Figur?
Helmut Köpping: Ja, ich finde das gut auf den Punkt gebracht. Es gibt einmal im Film ein kurzes Aufflackern, als Ratz versucht, das Computerspiel wieder vom Netz zu nehmen, als er vom Tod seines Vaters erfährt. Aber es bleibt nur ein Versuch, er zieht den Schwanz aber gleich wieder ein, er ist nicht stark genug, um weiter dran zu bleiben. Gerade in dieser Situation sieht man dann das, was man vielleicht vorher versäumt hatte, in einem anderen Licht.

Uncut: Das bringt uns zu einem Punkt im Film, wo es um die Reue für das, was man getan hat, geht. Es gibt ja zwei Personen im Film, die Reue empfinden könnten angesichts dessen, was sie getan haben, einerseits den SS-Typen, der sich im Keller versteckt und Ratz, der lange Jahre seines Lebens seinem Vater immer nur Böses wollte und nun angesichts seines Selbstmordes damit konfrontiert ist, dass er es nicht mehr gutmachen kann. Der eine sagt, er empfindet keine Reue, der andere bekommt keine Gelegenheit mehr dazu. Glaubst Du, dass Ratz Reue empfindet?
Helmut Köpping: Ja, das glaube ich schon. Es bleibt aber offen, was nun sein nächster Schritt sein wird. Es gibt so etwas wie eine neue Tür, die sich öffnet.

(Markus Löhnert im Gespräch mit Helmut Köpping. Berlin, 9. 2. 2009)

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Das Vaterspiel - Helmut Köpping

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