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Heidi@Home: Harry & Meghan

Heidi@Home: Harry & Meghan

Was eine These von Max Frisch mit der Sussex-Doku zu tun hat.
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von (Heidi@Home)
HEIDI@HOME: HARRY UND MEGHAN
Was eine These von Max Frisch mit der Sussex-Doku zu tun hat

Harry, der jüngere Sohn von König Charles, Herzog von Sussex und seine Frau Meghan, früher Markle und Schauspielerin, heute Herzogin von Sussex, haben einen Vertrag mit Netflix abgeschlossen, um sich zu ihrem Leben und insbesondere den Abschied aus dem britischen Königshaus zu erklären. „Harry und Meghan“ läuft als sechsteilige Dokumentation. Meghan erläutert in der ersten Folge, dass schon so viele Menschen über sie und ihren Ehemann berichtet hätten, die sie nicht einmal kennen, dass es nun (erneut muss man sagen) an der Zeit wäre, selbst zu sprechen. „Doesn’t it make more sense to hear our story from us?” stellt sie eine, aus ihrer Perspektive, rhetorische Frage.

Nun: Ja. Und nein. Es ist einerseits verständlich: Wir alle haben das Bedürfnis, unsere eigene Stimme zu haben, über uns erzählen zu können, unseren Standpunkt klar zu machen; und gerade wenn wir das Gefühl haben, Unrecht erfahren zu haben, uns hör- und sichtbar zu machen. Andererseits heißt es im Roman „Mein Name sei Gantenbein“ von Max Frisch: „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“ Und gerade in Anbetracht des Millionenpublikums, das diese sechsteilige Reihe sieht und auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Harry und Meghan nicht nur über sich selbst sprechen, sondern auch über andere, dass schwere Anschuldigungen gegen Dritte geäußert werden, wäre es ein Gebot der Fairness, nicht nur den eigenen Blickwinkel zuzulassen.

Megan und Harry
„Megan und Harry“ (Netflix)


Die königliche Familie, so sagt es das Insert, habe sich nicht äußern wollen. Ob dem tatsächlich so ist, oder ob die Familie gar nicht gefragt wurde, wie kolportiert wird, ist das eine. Selbst wenn man die Mitglieder des britischen Königshauses außer Acht lässt, wäre eine differenziertere Sichtweise gelungen, wenn nicht ausschließlich Menschen - Freunde, Angestellte, der Taufpate der Tochter, der eigene Pressesprecher, etc - interviewt worden wären, die ja ganz offensichtlich begeistert vom Ehepaar Sussex sind und/oder ihren Lebensunterhalt durch die beiden verdienen. Oder wenn zumindest ein Interviewer eingesetzt worden wäre, der manches auch kritisch hinterfragt. So ist das alles eher eine überlange Sussex-Belangsendung geworden, die sich vor allem durch „Oversharing“ auszeichnet.

Megan und Harry
„Megan und Harry“ (Netflix)


„Harry und Meghan“ legt viel Wert auf die Gegensätzlichkeit des Paares: hier das Mädchen aus L.A, das „mixed race“ ist, wie auffällig oft betont wird und bei ihrer Mutter aufwächst und da der Prinz aus dem konservativen Großbritannien, der früh seine Mutter verliert und bereits davor unter ständiger Beobachtung der Medien stand. Die britische Boulevardpresse ist dann, neben dem Königshaus selbst, das Hauptziel der Vorwürfe der Ex-Royals. Und auch hier geht es zweischneidig weiter. Versteht der Zuseher, die Zuseherin, die Belastung und den Druck der überschießenden und oft unfairen royalen Berichterstattung? Selbstverständlich. Ist es angebracht, die Praktiken der englischen Boulevardmedien zu adressieren und kritisch zu hinterfragen. Auf alle Fälle!

Wenn sich aber ein Paar entschließt, aufgrund dieser unerträglichen Situation dem Königreich den Rücken zu kehren und in die USA zu gehen, um Privatsphäre zu haben und ihre Kinder in Ruhe aufwachsen zu lassen, wieso veröffentlicht es dann dutzende Fotos und Videos von ihrem Nachwuchs, warum lässt es sich in romantischen Momenten in der eigenen Küche fotografieren; warum gibt es sogar ein Video vom Telefongespräch von Meghan mit ihrer Freundin, kurz bevor Harry ihr den Antrag macht? Und wenn sie das schon aufzeichnet, wieso teilt sie es mit der Welt? Gefühlt machen Meghan und Harry ihr ganzes Leben öffentlich, obwohl sie vorgeben, genau das zu verabscheuen? Obwohl sie, wie mehrmals betont wird, Angst um die Sicherheit ihrer Kinder haben? Nebenbei bemerkt ist die zur Schau gestellte Einfach- und Bescheidenheit eher das, was sich Könige vielleicht darunter vorstellen. Der Normalbürger wird darunter eher nicht das Leben auf einem Anwesen um 20 Millionen Dollar mit Meerblick verstehen.



Zusammengefasst: Es ist zweifelsohne einiges schiefgelaufen in der Familie Windsor, Harry hat in seinem Leben viel durchmachen müssen; der Tod seiner Mutter erscheint auch heute noch als ein großes, weitgehend unbewältigtes Trauma. Und es ist ein schwerwiegender Kritikpunkt, dem sich die Königsfamilie stellen muss, dass offenbar emotionale Zuwendung und wenn gewünscht auch psychologische Hilfe für den jungen Prinzen – und in weiterer Folge dann auch für seine Ehefrau – nicht verfügbar waren. Dennoch wären Harry und Meghan gut beraten, nach dem Abstand zur royalen Familie sich auch in Abstand zu jeglichen Kameras zu üben und das zu tun, weswegen sie in die USA gegangen sind: Um anonym zu sein. Und sich nun die Unterstützung zu holen, die sie wirklich brauchen.

„Harry und Meghan“ läuft seit 8. Dezember 2022 auf Netflix.