Diagonale
Diagonale - Tag 3

Diagonale - Tag 3

So unterschiedlich sich das Festivalprogramm bis heute zeigte, so divers geht’s weiter.
von mau
Die Anzahl der Sichtungen hält sich dem Ermüdungsgrad entsprechend zwar in Grenzen, dafür haben mich alle Filme außerordentlich tief berührt. Da wäre einmal der 14-Minüter „Paradise Later“ von Ascan Breuer, der den Zuschauer einen indonesischen Fluss entlang fahren lässt und neben der einst unberührten Schönheit der Landschaft die Müllberge, Symbol der Industrialisierung, zeigt. Das Besondere an dieser poetischen Kritik ist die Stimme aus dem Off, die aus Joseph Conrads „Heart of Darkness“ zitiert und mit dem perfekten Einsatz der Schwarzblenden die Konzentration immer wieder zurück auf den Text lenkt.

Nicht nur von mir, sondern auch vom Publikum mit Applaus gewürdigt, wurde das Kurzspielfilmprogramm 1. Hier zeigten drei Jung-RegisseurInnen ihr ganzes Können. Florian Röser, der Regisseur von „Ausflug“ zeigte Einsatz und gab seine Anweisungen vom Kofferraum aus, weil die Geschichte sich eben nur in einem Auto abspielt. Man spürt, dass es auch eine Herausforderung für den Kameramann bedeutete, der auf dem Schalthebel zu sitzen scheint. Die Spannung, die von Anfang an zwischen dem im Auto sitzenden Paar herrscht und auf den Zuschauer projiziert wird, erklärt der Regisseur Folgendermaßen: „Auf dem Weg zu einer Hochzeit fährt immer eine besondere Angespanntheit mit.“ Spannend ist der Kurzfilm auf alle Fälle bis zum Schluss.

„Spass mit Hase“ von Judith Zdesar ist gar nicht so lustig, wie es sich anhört. Das rosa Hasenkostüm, das eine zentrale Rolle spielt, führt die Geschichte als Spiel ein, das ganz schnell ernst wird. Die Regisseurin lässt aus der Sicht der Jugendlichen vom Youtube-Wahn erzählen, der den Unterscheid zwischen einem gestellten Video und realer Situationen verschwinden lässt.

Catalina Molina ist im Laufe ihres Austauschsemesters in Buenos Aires im Jahre 2007 auf das Thema ihres Filmes „Talleres Clandestino“s gestoßen. Sie arbeitet die Problematik von illegalen Nähwerkstätten etablierter westlicher Marken auf, die die Näherin bis zu 15 Stunden am Tag arbeiten lassen und pro genähtem Kleidungsstück etwa 20 Cent bezahlen. Der Film lebt von der großartig glaubwürdigen Darstellung der Laiendarsteller, vor allem der Protagonistin Juanita. Interessant ist, dass auch vor Ort in Buenos Aires die Augen verschlossen werden und zu diesem Thema kaum bis nichts in der Presse zu finden ist.

Ganz im Gegensatz dazu steht Helmut Bergers „Dirty Days“, ein Film, der das Leben einer Schauspieltruppe ganz ungeschminkt zeigt. Die höchst unterschiedliche Truppe rund um Helmut Berger bewältigt in kurzer Zeit nicht nur eine Distanz von 9000 km, sondern auch die Höhen und Tiefen des Theater-Alltags. Dazu gehören wenig Schlaf, ein begrenzter Raum für das Individuum, leere Theatersäle oder unbezahlte Gagen. Trotz aller Widrigkeiten wird gezeigt, wie sehr die SchauspielerInnen ihren Job lieben und in welchem besonderen Naheverhältnis sie zu diesem Beruf, wenn nicht Berufung stehen. Überaus witzig und unterhaltsam!

Wie heißt es so schön, dass Beste kommt zum Schluss: „New York ... November“ von Gerald Fillei und Joachim Krenn ist ein Meisterwerk zwischen Thriller und „Film-Noir“ und lässt manch Hollywood-Großproduktion im Schatten stehen. Ein missglückter Banküberfall ist der Ausgangspunkt der spannenden und tiefgründigen Geschichte von Bruce McGray, dem einzigen überlebenden Bankräuber. Auf der Flucht wird ihm ein Tagebuch zugesandt, das ihn in seine lang verdrängte Vergangenheit zurückbringt. Die Flucht vor dem FBI ist zugleich die Suche nach den dunklen Flecken eines früheren Lebens in Kolumbien. Es ist ein Lauf gegen die Zeit. Die Regisseure zeigen ein trostloses, regnerisches New York in Schwarz-Weiß und einen Protagonisten, der trotz seiner Taten immer das Mitgefühl der Zuschauer zu haben scheint. Die Geschichte zeigt in einem poetischen Tonus ohne Gewalt auszusparen, wie schnell die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwinden und die Auseinandersetzung mit der eigenen – als Fremdkörper empfundenen – Vergangenheit. Die Bildsprache ist gewaltig, die (Un-)Menschlichkeit fesselt den Zuschauer und die inhaltliche Botschaft ist vielseitig. Ein absolutes Highlight der Diagonale!

Vom Film noch ganz aufgewühlt, verabschiede ich mich.