Filmkritik zu Supersex

Bilder: Netflix Fotos: Netflix
  • Bewertung

    Porträt einer Pornolegende

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Die Frage nach der Größe: in der Sparte, in der Rocco Siffredi sich einst etablierte, von hoher Wichtigkeit. Seit den 1980ern hat der gebürtige Italiener in über 1000 Pornos mitgewirkt, für seinen wohlverdienten Kosenamen dürfte der „Italian Stallion“ (auf Deutsch: italienischer Hengst) sogar dem prüden Mainstream ein Begriff sein. Sein Glied und er gehören zur Créme de la Créme der Industrie. Und, Achtung Wortspiel: wahre Größen lassen sich in der Welt der Sex- und Schmuddelfilmchen nun auch nicht viele entdecken. Wenig verwunderlich also, dass dem Erotikstar unlängst ein ausgedehntes Denkmal gesetzt wurde. In sieben, jeweils 40-50 Minuten langen Episoden, huldigt „Supersex“ dem zerbrechlichen Menschen, der hinter der trashigen Pornopersona steht. Der in jungen Jahren sein bestes Stück einem schmutzigen Milliardengeschäft verkaufte.

    Der Mann hinter dem Glied

    Die Serie skizziert eine Reise der Selbstfindung, die früh ihren Samen sät: in der Kindheit. Schon im zarten Alter von neun Jahren kommt der kleine Rocco mit pornografischen Inhalten in Berührung. In seiner Heimatstadt, dem verarmten, italienischen Küstenstädtchen, bekommt man Mitte der 1970er-Jahre wenig von der Außenwelt mit. Doch Rocco (jugendlich: Saul Nanni, erwachsen: Alessandro Borghi) war immer anders als die andern. Als ihm ein Schundheftchen namens „Supersex“ entgegenfliegt, glaubt der kleine Racker seine Berufung gefunden zu haben. Und er sollte nicht Unrecht behalten: was als Bubenfantasie anfängt, entwickelt sich zur waschechten Superkraft. Je älter Rocco wird, desto mehr ist er im Reinen mit seiner Sexualität; er findet heraus, dass es nicht zwingend altbackender Machoismen bedarf, um in der Frauenwelt zu punkten. Über allem schwebt jedoch eine Familientragödie, die ihn selbst als gestandener Mann noch heimzusuchen droht. Als Jahre später sein verschwunden geglaubter älterer Bruder (Adriano Giannini) in sein Leben wiederkehrt, wird er in den Strudel der organisierten Kriminalität zurückgezogen. Ein gefährliches Leben, von dem sich der erfolgreiche Pornodarsteller eigentlich schon vor Ewigkeiten verabschiedet hatte.

    Immer der Länge nach

    Über mehrere Zeitebenen und europäische Metropolen hinweg entfaltet sich „Supersex“ als unerwartet tragische Erzählung eines Mannes, der ausgerechnet in einer als Schmutz verunglimpften Nische neue Lebenskraft tankt. Selbstfindung zwischen toxisch maskuliner Brüderlichkeit und den Versprechen einer offeneren, neuen Welt. Lästigerweise bleibt die emotionale Ebene, gerade in der schamlos melodramatisierten Pilotepisode, ausgesprochen seicht und billig. Ein Glück, dass die späteren Folgen ein wahrhaftigeres, weniger verkitschtes Bild seiner Hauptfigur erfassen. Zwischen intimen, bewegenden Momenten leidet die Serie unter narrativem Ballast, den es nicht gebraucht hätte. Was bleibt, ist eine kuriose Mischung aus gewitzter Industriebestandaufnahme, testosterongeladener Crime-Saga und mal mehr, mal weniger tiefgehender Charakterstudie. Trotz ambitionierter Ansätze kratzt dieses Porträt einer Pornolegende meist nur an der reißerischen Oberfläche.
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    (Christian Pogatetz)
    23.03.2024
    21:53 Uhr