Filmkritik zu My Favourite Cake

Bilder: Polyfilm Fotos: Polyfilm
  • Bewertung

    Zuckersüß, aber schwer zu verdauen

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Vor dem Hintergrund eines Regimes, das versucht den Willen von Frauen mit aller Macht zu brechen, erzählt das erfolgreiche Duo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha („Ballade von der weißen Kuh“) von einer Frau, die ihr Glück selbst in die Hand nimmt. Eine Geschichte über Liebe, Lebensfreude und Vergänglichkeit.

    Die 70-jährige Mahin (Lily Farhadpour) lebt alleine in Teheran. Ihr Mann ist lange verstorben, ihre Tochter nach Europa ausgewandert. Immer seltener trifft sie sich mit ihren Freundinnen, weil die alle viel zu weit weg wohnen. Und wenn, geht es schon nur noch um Krankheiten und dergleichen. Also ergreift sie die Initiative und trifft schließlich auf den Taxifahrer Esmail (Esmail Mehrabi). Die beiden verbringen in der Folge eine Nacht miteinander, die keiner von ihnen so schnell vergessen wird…

    Die Intention der Filmemacher war es, den Iran so zu zeigen, wie er wirklich ist und nicht wie die Regierung es möchte. Die Konsequenzen dafür bekamen sie selbst zu spüren. Die Ausreise zur großen Premiere ihres Films auf der Berlinale wurde ihnen verwehrt. Wie Eltern, die ihr Neugeborenes nicht sehen dürfen fühlen sie sich, wie sie in einem offenen Brief verkünden.

    Der Schatten des Regimes lungert auch über der Geschichte. Die Sittenpolizei ist ständig auf Streife, um das richtige Tragen des Hijabs durchzusetzen, und Verstöße zu bestrafen. Mahin jedoch wehrt sich selbst und rät einem Mädchen, es ihr gleich zu tun. Die neugierige Nachbarin deren Mann bei der Regierung arbeitet beobachtet und bespitzelt sie, doch auch damit hat sie gelernt umzugehen. Beide Protagonisten wuchsen noch vor der Revolution auf und müssen jetzt in einem Land über die Runden kommen, das sie nicht wiederkennen.

    Doch sie sehen sich nicht nur mit politischer Veränderung konfrontiert. Die Probleme des Älterwerdens betreffen Menschen auf der ganzen Welt gleichermaßen. Die Angst auf der Strecke zu bleiben steigt stetig, der steigenden Technologisierung kommen viele nicht hinterher. Zunehmende Krankheiten verhindern eine gewohnte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Denn allem Leiden voran steht die Vereinsamung. Sogar zum Fernsehen trägt Mahin Schminke auf, weil es scheinbar das Highlight ihres Tages bildet. Umso schöner ist es endlich wieder einen Film zu bekommen, der sich um eine Romanze im Alter dreht. Und was für eine.

    Wem bei den beiden Turteltäubchen nicht das Herz aufgeht, der hat schlicht keines. Die Chemie zwischen Farhadpour und Mehrabi geht durch die Decke, ohne sie wäre es einfach nur der halbe Film. Viel visuelle Komik und gut geschriebene und oft witzige Dialoge ergänzen die heitere Stimmung. Und die scheint hockansteckend zu sein. Ich habe selten eine so positive Grundatmosphäre in einem Raum voller Journalisten erlebt.

    *** SPOILER ***

    Leider hält diese Stimmung nicht bis zum Ende des Filmes an; da kommt es zu einem harten Einschnitt, der einen schnell mit der Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert und der, wenn man nicht darauf vorbereitet ist, total kalt erwischt. Der lebensbejahenden Grundaussage widerspricht das aber nicht im Geringsten.

    *** *** *** ***

    Der Titel „My Favourite Cake“ (Originaltitel „Keyke mahboobe man“) bezieht sich übrigens auf Mahins Lieblingskuchen, einen Orangenblütenkuchen mit Vanillecreme (es versteht sich von selbst, dass das erste was ich nach der Vorführung gemacht habe, ein Rezept eines solchen rauszusuchen). Den bäckt sie öfter mal einfach so, auch in der Hoffnung, dass irgendwer vorbeikommt, um ihn mit jemanden teilen zu können. Und wenn nicht, dann genießt sie ihn allein. Dieses Mal hatte sie Glück. Manchmal muss man das Leben eben einfach nehmen, wie es kommt und den Moment genießen bevor er für immer verschwimmt, wie ein schlecht gemachtes Foto. Doch das muss nicht heißen, dass das Schießen eines solchen sich nicht lohnt. Dieser simple Akt stellt konkret für mich die möglicherweise schönste Szene des Filmes dar.

    Wie der Hauptdarsteller Esmail Mehrabi selbst sagt, Liebe ist alterslos, Liebe ist grenzenlos und wird immer und überall existieren, solange sie nur echt ist.
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    (Markus Toth)
    18.02.2024
    19:22 Uhr