Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Kleine Dinge mit großer Wirkung

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Was tun, wenn man mit Ungerechtigkeit konfrontiert wird? Einfach wegschauen oder doch etwas tun, selbst wenn es Konsequenzen für das eigene Leben hat? Warum es nur jemanden braucht, der den ersten Schritt macht, erzählt uns „Small Things Like These.“

    Bill Furlong (Cillian Murphy) ist in den 1980ern Kohlehändler in einer irischen Kleinstadt. Bill, die gute Seele hilft wo er nur kann und tut alles um seiner Frau (Eileen Walsh) und ihren fünf Töchtern ein schönen Leben zu ermöglichen. In einem örtlichen Konvent scheinen furchtbare Dinge anzulaufen. Als Bill ein Tages direkt damit konfrontiert wird, beginnt er sich zu fragen, ob er es noch weiter ignorieren kann…

    Die Periode der Magdalenenheime bzw. Magdalenenwäschereien ist ein dunkles Kapitel irischer Geschichte, Cillian Murphy bezeichnet es gar als kollektives Trauma. Junge Frauen wurden dort eingesperrt und mittels harter Arbeit umerzogen, wenn sie nicht den herrschenden katholischen Idealen entsprachen. Das betraf besonders unverheiratete junge Frauen, die schwanger wurden. Claire Keegan verarbeitete die Thematik im gleichnamigen Roman. Am Set von „Oppenheimer“ fiel dieser Matt Damon, wie er selbst sagt vom Himmel in seinen Schoß. Der sprach sofort mit Murphy, der wiederum kontaktierte Tim Mielants, den er durch „Peaky Blinders“ kannte. Enda Walsh wurde mit dem Drehbuch beauftragt und das Resultat eröffnete nun die 74. Berlinale. Für Eileen Walsh, mit der Murphy schon auf der Bühne zusammengearbeitet hatte, war es überhaupt ein sehr persönlicher Dreh; ihr Vater war ebenfalls Kohlearbeiter, und sie wuchs als jüngste von fünf Schwestern in einem ähnlichen Haus auf.

    Ihre Figur (die zufällig denselben Vornamen trägt), ist es (neben der örtlichen Pubbesitzerin), die Bill immer wieder davon abrät etwas zu sagen. Manchmal müsse man geradeaus schauen um gut durchs Leben zu kommen. Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Sogar für das Schweigegeld, das ihr Mann bekommt, soll er sich noch bedanken. Sie steht für all die Passivität, die überhaupt erst zulässt, dass Menschen leiden müssen. Bill aber repräsentiert das Gute. Seinen Arbeitern zahlt er mehr als er muss und sein Kleingeld verteilt er einfach an die, die es brauchen. Er selbst gibt sich mit weniger zufrieden. Dass die Geschichte um die Weihnachtszeit, dem Fest der Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft angesiedelt ist, unterstreicht die Wichtigkeit zu handeln. Ganz im Reinen mit seinem Gewissen scheint jedoch selbst er nicht zu sein. Fast rituell wäscht er sich täglich nach der Arbeit den Kohlestaub von den Händen. Er wäscht symbolisch seine Hände in Unschuld. Erst als er endlich etwas unternimmt, entfällt das Ritual.

    Das System, das zu Fall gebracht werden muss, ist in diesem Fall der Einfluss der katholischen Kirche. Die wird vertreten durch die Oberschwester Mary (Emily Watson). Cillian Murphy beweist zwar nach seiner jüngsten Oscarnominierung erneut, dass diese schon längst überfällig war, allen die Schau stiehlt aber Emily Watson als fiese Konventsleiterin mit ihren schmierigen Bestechungsversuchen und passiv-aggressiven Drohungen. Dass einmal eine Ordensschwester beim Teetrinken für eine der spannungsgeladensten Szenen seit langem sorgen würde, hätte wohl niemand erwartet.

    Neben Mafianonnen kämpft Bill außerdem mit den Dämonen seiner Vergangenheit. Die werden in immer wieder eingestreuten Rückblenden aufgearbeitet. Weil diese sich optisch aber kaum von der Haupthandlung unterscheiden, ist es vor allem anfangs etwas verwirrend, was da erzählt wird. Außerdem wird uns eine wirkliche Auflösung davon vorenthalten, was die Frage aufwirft, ob diese eventuell dem Schnitt zum Opfer gefallen ist.

    Am Ende kann man die Geschichte stellvertretend für jede Situation betrachten, in der die Reichen und Mächtigen keine Gegenwehr erfahren aus Angst vor Konsequenzen. Das Ende des Filmes macht jedoch deutlich, dass es diesen Mut braucht, um andere zu inspirieren auch die Stimme zu erheben. Ein einziges Stück Kohle kann schließlich in allen ein Feuer entfachen, wenn es nur selbst genug lodert.
    edac4c1f-b3ff-4de5-b845-16c20749665d_0d4411a121.jpeg
    (Markus Toth)
    15.02.2024
    23:59 Uhr