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  • Bewertung

    Bis dass der Tod uns scheidet… Oder wenn Auto auf Leib trifft

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Andrea will sich scheiden lassen. Die Polizistin mit Einsatzort im heimatlichen Dorf mitten in Niederösterreich ist bereits aus dem Elternhaus ihres Ehemannes Andy ausgezogen. Bei der Geburtstagsfeier ihres Arbeitskollegen trinkt er sich an, um sie nach der sechsmonatigen Schweigepause zu konfrontieren. Der peinliche Versuch bleibt erfolglos – Andrea schickt ihren baldigen Ex-Mann zu Fuß nach Hause. Doch als sie kurz darauf mit dem Auto ihre Heimfahrt antritt, fährt sie ihren mitten auf der Straße torkelnden Mann tödlich an. Hopfen und Malz ist verloren. Er verstirbt an Ort und Stelle. Und Andrea begeht Fahrerflucht. Ein kurze Zeit später an jener Stelle vorbeifahrender Lehrer mit Alkoholproblemen, glaubt nun den Mann mit seinem Auto getötet zu haben und ruft die Polizei, um sich zu stellen.

    Damit bietet der neueste Spielfilm des österreichischen Kabarettisten Josef Hader eine exzellente Prämisse für eine schwarze Komödie. Denn jede Figur des weitläufigen Charakterensembles ist ambivalent zu betrachten, was für das bitterböse Genre als ein äußerst wichtiges Merkmal erscheint. Die Titelfigur Andrea verhält sich direkt, kurz und knapp in der Wortwahl, und gewissermaßen etwas motivationslos. Ihr Ziel als Kriminalbeamte aufzusteigen und in die Landeshauptstadt St. Pölten zu ziehen, würde sie ohne große Rücksicht auf familiäre Bindungen in die Tat umsetzen. Genauso adäquat kalt wird die Figur verkörpert von Birgit Minichmayr, sodass man an ihren teilweise makabren Handlungen nie zweifelt, ohne sie hundertprozentig zu verurteilen. So darf sie ihre Spuren verwischen, während man sich denkt, dass ihr Ehemann es sowieso ein klein wenig verdient hat. An ihrer Seite als Polizeikollege Thomas Schubert, der sich spätestens letztes Jahr mit „Roter Himmel“ als starker Charakterdarsteller etabliert hat und hier seinen Wiener Dialekt wieder ausleben darf. An ihm kann man sich aufhängen, als vermutlich einzige Stimme der Vernunft. Denn Josef Hader übernimmt nach seinem inszenatorischen Erstlingswerk „Wilde Maus“ nicht nur die Regiearbeit und hat das Drehbuch mitzuverantworten, sondern spielt natürlich auch wieder mit. Eben als Religionslehrer Herr Leitner, dem eigentlich unschuldigen Sünder, der sich in seiner Rolle des Verdammten aber viel zu wohl fühlt, kann Hader seinen mit ihm so vertrauten trockenen und pointierten Humor voll ausfalten. Man merkt ihm an, dass er sich in seiner Figur des Geächteten wohl fühlt und sahnt dadurch auch die meisten Lacher ab – wobei seine tatsächliche Screen Time geringer ist, als man annehmen könnte.

    „Andrea lässt sich scheiden“ oszilliert zwischen Tragik und Komödie. Wo dieser Balanceakt am erfolgreichsten und unterhaltsamsten ausfällt, ist bei der bereits gepriesenen Prämisse. Sobald diese vom Film selbst aber erzählt wurde, merkt man ihm an, dass nicht mehr jeder Gag sitzt. Gewissermaßen ist dann ab dem Unfall typisch für das Kabarett mehr eine Sketch-Struktur zu finden. Szene wird an Szene gereiht – und wo manche Szenen wirklich unterhaltsam sind (vor allem jene mit Hader), verlieren andere wiederum den Blick auf die Hauptfigur und tapsen eher auf der Stelle umher. Hier hätte ein stringenterer roter Faden der Geschichte sicherlich gutgetan.
    Aber das Makabre, typisch für den österreichischen Humor, zieht sich konsequent durch den Film. Und was an dieser Stelle vor allem auch zu loben ist, ist der filmästhetische Aspekt. Nicht nur wird die rurale Gegend mit ihrer Tendenz der Langeweile (zumindest für die Protagonistin) effektiv eingefangen, auch hinter der Bildkomposition steckt immer ein Gedanke. Und so ist zum Beispiel, wie das Makabre bereits angesprochen wurde, der Tod allgegenwärtig. Haders Figur holt in einer Einstellung etwa bereitwillig den Koffer vom Dachboden seines Schuppens, um selbstverständlich die Haftstrafe im Gefängnis anzutreten. Nur ist die schwarze Silhouette so gefilmt, dass es mehr aussieht, als würde sie statt zum Koffer zum Strick greifen. Wie gesagt: Schön makaber.

    Und aus der Bildgestaltung geht genauso wie aus der Narration eines der überraschend durchdachten Leitmotive hervor. So ist es doch bemerkenswert, dass in fast jedem Shot eine Art eines Autos zu sehen ist. Von den offensichtlichen Beispielen (Gespräch im Auto, Auto fährt durchs Bild) bis hin zu Traktoren im Hintergrund, parkenden PKWs oder Spielzeugautos lässt sich fast immer ein Gefährt entdecken. Und auch wichtige Plot Points sind an das Auto gekoppelt. Nicht nur ist für die Prämisse der Autounfall immanent, so steht auch das Verrecken des Motors für emotionale Instabilität, das entscheidende Gespräch zur einvernehmlichen Scheidung wird auf den Autositzen geführt und die Fähigkeit des Fahrens strahlt allegorisch eine gewisse Potenz aus. Und das nicht ohne Grund: In ländlichen Gebieten mit weitläufigen Strecken sind die Leute mehr auf das Auto angewiesen als etwa in kompakten Städten. So eröffnet „Andrea lässt sich scheiden“ bereits mit der Szene einer Radarkontrolle auf einer Landstraße. Im Kontrast dazu positioniert der Film Andreas Dienstwohnung in St. Pölten direkt neben dem Bahnhof. Aber das Auto erfüllt nicht nur die Funktion der erhöhten Mobilität, sondern ist identitätsstiftend und wichtig für die Charakterisierung. Wo der Polizeiwagen bereits Andreas Profession zeigt, so spricht das kleine kompakte Auto in schillernder roter Farbe von Haders Figur ebenfalls Bände. Und ist im Film immer wieder ein Kunstwerk einer übergroßen Zwiebel im Kreisverkehr zu sehen. Im Dorf dreht es sich um die Landwirtschaft, die Autos drehen sich im Kreis wie so manchmal die dörfliche Mentalität. Aber zugleich kann sich die Fahrtrichtung im Kreisverkehr massiv verändern. Josef Hader sagt mehrmals in der Vermarktung des Films, dafür könne Kino stehen: Gänzlich neue Perspektiven zu erhalten, genauso wie man im Kreisverkehr neu abbiegt.

    Ob „Andrea lässt sich scheiden“ gänzlich neue Routen im Kino einschlägt, darüber lässt sich streiten. Aber als Genrevertreter einer schwarzen Komödie, die Witz und Tragik aufeinanderprallen lässt, funktioniert Josef Haders neuester Film ganz vorzüglich. Vom Spurenverwischen, der Schuldzuweisung, ländlichen Mentalitäten und Mobilitäten beweist das Werk einen Hang zur Unterhaltung und gehaltsamen Auseinandersetzung gleichermaßen. Rundum gelungen. Wie ein Kreisverkehr.
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    (Tobit Rohner)
    18.02.2024
    22:48 Uhr
    First milk, then Cornflakes
    just like my movie taste.

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