Babylon - Rausch der Ekstase

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Forumseintrag zu „Babylon - Rausch der Ekstase“ von Snowbit

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Snowbit (01.11.2023 14:14) Bewertung
Ekstase, Trauer und Schicksalsschläge in der größten Party der Hollywood-Filmgeschichte
Über drei Stunden Laufzeit hat BABYLON auf dem Rücken zu tragen und dennoch vergehen sie wie im Flug - im Prinizip wie auf ner guten Party, die nen richtig guten Beat hat, man den Vibe fühlt und dann wundert man sich, warum die Sonne plötzlich draußen aufgeht. Der Film ist vollgestopft mit großen wie kleinen Ereignissen, Auseinandersetzungen von spannenden Themen sowie einem Rausch an inszenatorischer Meisterleistung, fetzigen Songs und einer Schau- wie Hörlust, die aber auch in das genaue Gegenteil umzuschlagen weiß.

BABYLON umspannt wenige Jahrzehnte der Kinogeschichte von Hollywood: Die Schicksale vierer Figuren erleben eine Wende, weil sich eine technologische Wendung in der Filmindustrie ereignet. Die verändernden Lebensbedingungen erschöpfen sich aus dem Wandel vom Stumm- zum Tonfilm. Eine leidenschaftliche Träumerin wird zur aufstrebenden Schauspielerin (Margot Robbie), ein etablierter Schauspieler wird medial und künstlerisch herausgefordert (Brad Pitt), ein mexikanischer Party-Organisator wird zum innovativen Manager und Produzent (Diego Calva) und auf einen Trompetenspieler einer Band wartet der filmische Durchbruch (Jovan Adepo).

Typisch für Regisseur Damien Chazelle und den Komponisten Justin Hurwitz tritt die musikalische Gestaltung, der Score wie der Sound, in vorderste Front. Die Songs (allesamt Banger) bleiben im Kopf, auch wenn sie noch so oft wiederverwertet erscheinen, entfaltet sich je eine eigene Stimmung. Vor allem aber bezüglich der technologischen Entwicklung ist der auditive Einsatz hervorragend ausgearbeitet. So ist die Zeit des Stummfilms geprägt vom allzeit schallernden Lärm, ob die endlosen ausufernden Party-Unterhaltung oder die Gleichzeitig mehrerer Sets hinter den Kulissen. Dieser Gegensatz ändert sich mit der Verbreitung des Tonfilms. Plötzlich wird wertdaraufgelegt, wer was wie wo wann sagt. Mit Bedacht und Präzision, welche Töne und Geräusche beim Dreh zu vernehmen sind, stellt das Medium Film neue Herausforderungen. Und auch die Filmgesellschaft ist mit neuen moralisierenden Normen und Disziplinierungen konfrontiert, wo schön darauf zu achten ist, welche Wörter und Tonlagen man wählt, um der sittlichen Gepflogenheit zu entsprechen. Dieser akustische Wandel beeindruckt, etwa bei Robbies ersten Tonfilmdreh, wo die Unsicherheit und Angst vor der medialen Entwicklung ausgezeichnet vermittelt wird.

Drei Stunden sind lange und während BABYLON die meiste Zeit zu füllen weiß, empfinde ich etwas nach dem Mittelteil Redundanz. Das liegt daran, dass die Figuren von Robbie und Pitt hier aufgrund ähnlicher Charakterzüge ähnliche Charakterentwicklungen durchmachen - beide vom exzentrischen Rausch geprägt und angetrieben, scheitern sie am Medienwandel. Hätte es da beide gebraucht? Einer der Figuren hätte eine andere Route einschlagen können. Oder man hätte den Fokus auf eine andere Figur schieben können - zum Beispiel Adepos Figur des Trompetenspielers hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Zwar wird die Lebensrealität eines Afroamerikaners im rassistischen Hollywood-System mit einer der unangenehmsten Szenen seit langem verdeutlicht, aber man hätte die Zeit auch nutzen können, diese Figur weiter auszubauen.

Und ansonsten ist noch zu sagen: Es gibt noch so viel mehr zum Film zu sagen. Das chaotische Filmemachen wird humoristisch wie unverblümt geschildert, da darf auch nicht der überspitzte perfekte Shot fehlen. Ebenfalls gelingt BABYLON die beeindruckende Leistung, sowohl das frühe Hollywood-Kino zu zelebrieren, als auch seine Schattenseiten mit Komik zu verdeutlichen, die kritischen Punkte latent aufzuzeigen ohne dabei einen moralisierenden Zeigefinger zu erheben. Die moralische Wertung bleibt den Rezpient:innen überlassen.
Und es gibt noch so viel mehr zu erwähnen: Exzessive Trompetenshots, die vielschichtige Auseinandersetzung von hoher und niedriger Kunst, deutsche Regisseure, Tobey Maguire, die Ästhetik des Film Noir, ein untypisches Ende von vielen Enden und und und. Am besten man löst ein Kinoticket und genießt die eigene Rezeptionserfahrung auf der Leinwand mit einem guten Sound System.
 
 

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