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83.2% Bewertung
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    Für alle Sinne ein Genuss

    Die Wirkung dieses großartigen Meisterwerks auf einer riesigen Kinoleinwand spricht alle Sinne an:
    Schade, dass ich den Film kein zweites Mal im Kino gesehen habe: absolut empfehlenswert in jeder Hinsicht.
    05.11.2023
    13:37 Uhr
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    Ekstase, Trauer und Schicksalsschläge in der größten Party der Hollywood-Filmgeschichte

    Über drei Stunden Laufzeit hat BABYLON auf dem Rücken zu tragen und dennoch vergehen sie wie im Flug - im Prinizip wie auf ner guten Party, die nen richtig guten Beat hat, man den Vibe fühlt und dann wundert man sich, warum die Sonne plötzlich draußen aufgeht. Der Film ist vollgestopft mit großen wie kleinen Ereignissen, Auseinandersetzungen von spannenden Themen sowie einem Rausch an inszenatorischer Meisterleistung, fetzigen Songs und einer Schau- wie Hörlust, die aber auch in das genaue Gegenteil umzuschlagen weiß.

    BABYLON umspannt wenige Jahrzehnte der Kinogeschichte von Hollywood: Die Schicksale vierer Figuren erleben eine Wende, weil sich eine technologische Wendung in der Filmindustrie ereignet. Die verändernden Lebensbedingungen erschöpfen sich aus dem Wandel vom Stumm- zum Tonfilm. Eine leidenschaftliche Träumerin wird zur aufstrebenden Schauspielerin (Margot Robbie), ein etablierter Schauspieler wird medial und künstlerisch herausgefordert (Brad Pitt), ein mexikanischer Party-Organisator wird zum innovativen Manager und Produzent (Diego Calva) und auf einen Trompetenspieler einer Band wartet der filmische Durchbruch (Jovan Adepo).

    Typisch für Regisseur Damien Chazelle und den Komponisten Justin Hurwitz tritt die musikalische Gestaltung, der Score wie der Sound, in vorderste Front. Die Songs (allesamt Banger) bleiben im Kopf, auch wenn sie noch so oft wiederverwertet erscheinen, entfaltet sich je eine eigene Stimmung. Vor allem aber bezüglich der technologischen Entwicklung ist der auditive Einsatz hervorragend ausgearbeitet. So ist die Zeit des Stummfilms geprägt vom allzeit schallernden Lärm, ob die endlosen ausufernden Party-Unterhaltung oder die Gleichzeitig mehrerer Sets hinter den Kulissen. Dieser Gegensatz ändert sich mit der Verbreitung des Tonfilms. Plötzlich wird wertdaraufgelegt, wer was wie wo wann sagt. Mit Bedacht und Präzision, welche Töne und Geräusche beim Dreh zu vernehmen sind, stellt das Medium Film neue Herausforderungen. Und auch die Filmgesellschaft ist mit neuen moralisierenden Normen und Disziplinierungen konfrontiert, wo schön darauf zu achten ist, welche Wörter und Tonlagen man wählt, um der sittlichen Gepflogenheit zu entsprechen. Dieser akustische Wandel beeindruckt, etwa bei Robbies ersten Tonfilmdreh, wo die Unsicherheit und Angst vor der medialen Entwicklung ausgezeichnet vermittelt wird.

    Drei Stunden sind lange und während BABYLON die meiste Zeit zu füllen weiß, empfinde ich etwas nach dem Mittelteil Redundanz. Das liegt daran, dass die Figuren von Robbie und Pitt hier aufgrund ähnlicher Charakterzüge ähnliche Charakterentwicklungen durchmachen - beide vom exzentrischen Rausch geprägt und angetrieben, scheitern sie am Medienwandel. Hätte es da beide gebraucht? Einer der Figuren hätte eine andere Route einschlagen können. Oder man hätte den Fokus auf eine andere Figur schieben können - zum Beispiel Adepos Figur des Trompetenspielers hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Zwar wird die Lebensrealität eines Afroamerikaners im rassistischen Hollywood-System mit einer der unangenehmsten Szenen seit langem verdeutlicht, aber man hätte die Zeit auch nutzen können, diese Figur weiter auszubauen.

    Und ansonsten ist noch zu sagen: Es gibt noch so viel mehr zum Film zu sagen. Das chaotische Filmemachen wird humoristisch wie unverblümt geschildert, da darf auch nicht der überspitzte perfekte Shot fehlen. Ebenfalls gelingt BABYLON die beeindruckende Leistung, sowohl das frühe Hollywood-Kino zu zelebrieren, als auch seine Schattenseiten mit Komik zu verdeutlichen, die kritischen Punkte latent aufzuzeigen ohne dabei einen moralisierenden Zeigefinger zu erheben. Die moralische Wertung bleibt den Rezpient:innen überlassen.
    Und es gibt noch so viel mehr zu erwähnen: Exzessive Trompetenshots, die vielschichtige Auseinandersetzung von hoher und niedriger Kunst, deutsche Regisseure, Tobey Maguire, die Ästhetik des Film Noir, ein untypisches Ende von vielen Enden und und und. Am besten man löst ein Kinoticket und genießt die eigene Rezeptionserfahrung auf der Leinwand mit einem guten Sound System.
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    01.11.2023
    14:14 Uhr
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    Rausch der Bilder

    Es ist von allem Zuviel: zu viele Personen, zu viele Szenen, zu viele Bilder, zu viele Körperflüssigkeiten, ich bin völlig überreizt aus dem Kiinosaal raus. Gleichzeitig sind die 3 Stunden durch dieses Zuviel absolut kurzweilig, es ist erfrischend so viele echte Statisten zu sehen (Highlight: die Szene vom Dreh in der Wüste) und der Rausch der Bilder ist purer Eskapismus. Die Filmmusik reißt einen zusätzlich mit. Damien Chazelle hat sich wirklich überhoben, aber er feiert das Medium Kino und der Film hallt nach. Objektiv gesehen ist Babylon vermutlich kein wirklich guter Film, aber ich bin froh mich dem Spektakel hingegeben zu haben.
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    06.02.2023
    18:25 Uhr
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    Good old Hollywood is dying

    Hier züngelt das Feuer der Leidenschaft: Damien Chazelle, wohl einer der besten Regisseure der Gegenwart (wenn nicht der beste, würde man die Statistik des Filmgenuss berücksichtigen) will, dass es lichterloh brennt, und zwar ganze drei Stunden lang. Die Leidenschaft darf nie vergehen und sich selbst stets von Neuem entfachen. Da braucht es kein Zutun von außen, denn einer Sonne gleich sollen die szenischen Kernfusionen seines Films neue Energie freisetzen, um die Dichte und die Opulenz seines Inszenierungsdrangs mit langem Atem zu Ende bringen, und sich erst ganz am Ende erlauben dürfen, nach Atem zu ringen. Genau dann, wenn Chazelle das Wunder des Filmemachens als ein eigenes, fremdes, vielleicht extraterrestrisches Element einführt, gleich dem Monolithen aus Stanley Kubricks 2001, und seinen Protagonisten auf eine Reise schickt wie den Astronauten Dave in selbigem Film.

    Dieser Protagonist, das ist Manny Torres. Mit diesem gebürtigen Mexikaner, der im Kalifornien der Zwanzigerjahre sein Glück versucht, findet auch das Publikum eine Identifikationsfigur, die vom Tellerwäscher zur großen Nummer werden kann. Wir wünschen es ihm, denn die von Diego Calva gespielte Figur ist sympathisch, klug und integer. Anfangs ist er bei den Reichen und Einflussreichen der Stummfilmbranche noch Mädchen für alles, doch dann entdeckt ihn der gefeierte Hollywoodstar Jack Conrad, Alter Ego eines Clark Gable oder Douglas Fairbanks, als einen, dem er vieles anvertrauen kann. Er wird sein persönlicher Assistent und arbeitet sich von da an immer weiter die Treppe der Filmgeschichte hinauf, dessen höchste Stufe wohl jene vom Stumm- zum Tonfilm darstellt und die kaum einer von den alteingesessenen Stars und Sternchens wird erklimmen können. Zur Zeit dieses großen Paradigmenwechsels ist das Aufsteigen, Absteigen und Einsteigen diverser künstlerischer Existenzen wie eine sich im Kreise drehende Achterbahnfahrt, die sich selbst immer wieder neu anstößt. Während Jack Conrad am Zenit seines Ruhms ankommt und von da an bergab rattert, schnuppert Shootingstar Nelly LaRoy, die der Zufall ans Set gebracht hat, alsbald Höhenluft, und das nur, weil sie die seltene Gabe besitzt, auf Befehl loszuheulen. Mit dieser Fertigkeit und ihrer Scheißdirnix-Attitüde wird sie zum Gossip- und Glamour-Girl mit schlechten Manieren, doch das Publikum liebt sie. Bis der Ton eine neue Musik macht – und niemand mehr, nicht mal die kesse LaRoy, werden das sein, was sie einmal waren. In dieser aufwühlenden Dreiecksparade bleibt Manny Torres das beobachtende Element, der Nellie LaRoy heimlich liebt und der jedoch bald mittendrin als nur dabei sein wird, wenn die Pforten der Unterwelt Hollywoods den Mexikaner versuchen, hinabzuziehen.

    Damien Chazelle zeigt in seinem wummernden und eben brennend leidenschaftlichen Epos eine kleine Ewigkeit lang, wo sich Hollywoods Olymp der frühen Geschichte des amerikanischen Films manifestiert, und wo man in den Orkus abtauchen kann. Er zeigt das Schillern, und er zeigt das Grauen. Es wird geschissen, gekotzt und geblutet. Geheult, wie ein Rohrspatz geschimpft und den Hitzetod gestorben. Babylon ist kein Kindergeburtstag, nicht mal eine Jugendparty, und zumindest anfangs feiert Chazelle eine fast schon römische Orgie im üppigen Stil eines Federico Fellini, wenn Elefanten durchs Bild tröten und Sex in aller Öffentlichkeit salonfähig wird. Babylon – Rausch der Ekstase rüstet sich für eine Party, die im Tanz- und Drehmarathon seine Opfer findet.

    Vor allem anfangs gelingen Chazelle so einige goldene Momente – kleine szenische Sternstunden, die episodenhaft wirken. Leicht wäre es gewesen, Chazelles Film in ebendiese zu gliedern, um wie bei Quentin Tarantino mehr Struktur in ein Sittenbild wie dieses hineinzubringen. Doch braucht es das, kann sich diese impulsive Kunst- und Filmekstase unter solchem Zaumzeug auch entsprechen entfalten? Nein, denn allein die rund 30 Minuten Erlebnis-Parkour in Sachen Stummfilmdreh mitten in der Wüste ist einfach nicht zu bändigen. Da geht es Schlag auf Schlag, da gibt es Details noch und nöcher, und der ganze geschäftige Irrwitz steigert sich bis zum Crescendo, um dann, in einem sich erschöpfenden letzten Take den Triumph des Schaffens zu feiern. Wir haben also die Party, und wir haben das Pionierabenteuer Film, und dann haben wir Margot Robbie, die sich ihre Seele aus dem Leib spielt und Brad Pitt, der immer stets Brad Pitt bleibt und selten aus sich herauskann. Irgendwann in der dem Zeitgefühl entrückten Mitte des Films ist dieser wie aus der Zirkuskanone geschossenen Leidenschaft der Zunder abgebrannt, und Chazelle sucht dringend nach dem Perpetuum Mobile, das den immer gleichen Schwung des Films gewährleisten hätte sollen.

    Vielleicht hätte er Pitt und Robbie in ihrer jeweils eigenen Geschichte mehr Berührungspunkte geben sollen. Im Grunde erzählt der Filmemacher Ähnliches wie in seinem famosen Musical La La Land, der des Meisters vollkommene Kunstfertigkeit ausreichend bewiesen hat. Nur dort hatten Emma Stone und Ryan Gosling eben eine gemeinsame Geschichte, während der alternde Star und das junge Starlet in Babylon nur zufällig aneinandergeraten. Vielleicht sind drei Stunden für eine im Grunde recht banale Geschichte über Aufstieg und Fall einfach zu lange, um diese Hymne an den Film im Stakkato-Stil beizubehalten. Bei aller Liebe: Damien Chazelle hat sich mit seinem aktuellen Werk erstmals übernommen. Sowohl Whiplash als auch sein eben erwähntes Musical La La Land wie auch die hypnotische Astronautensaga Aufbruch zum Mond sind in meinen Hochrechnungen ganz weit oben, alle drei sind makellose Meisterwerke. Babylon indes hat hier viel mehr Schönheitsfehler, und ich muss zugeben, es ist nicht so, als hätte ich das nicht vermutet, schon allein deshalb, weil das, was man über den Film bereits wusste, nach wahllosem, vielleicht sogar gierigem Hineingreifen in eine Epoche klang.

    Immerhin schillert Babylon – Rausch der Ekstase als bittersüßes Requiem des ganz alten Hollywoods in bemerkenswert eigenem Licht. Die Toten gehen mit ihren Filmen in die Ewigkeit, wird irgendwann zu Brad Pitt gesagt – warum also über die Vergänglichkeit des Ruhmes klagen? Kluge Gedanken, radikale Konsequenzen und das Verlieren in der Illusion tanzen ums goldene Kalb. Chazelle entfesselt Bilder und Szenen voller Anmutung und Abscheu, er dirigiert seinen Film bewusst ambivalent und verpasst ihm die Maske eines Harlekins – eine Seite lacht, die andere weint. In dieser Zerrissenheit ergeht er sich in einem wehmütigen Liebeslied auf das allen tragischen Possen und glücksritterlichen Eskapaden übergeordnetem großen Ganzen, nämlich des Mediums Film, wofür Chazelle selbst unendlich glücklich zu sein scheint, darin vorzukommen. So gnadenlos, unberechenbar und affektiert diese Welt auch sein mag.


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    22.01.2023
    15:51 Uhr
  • Bewertung

    A Little Party Never Killed Nobody

    Großartige schauspielerische Leistungen von Brad Pitt und vor allem Margot Robbie, grandiose Kamera, phantastische Musik und eine Zeitreise (hauptsächlich) in die 20 und 30er Jahre Hollywoods, das ist BABYLON oder wie der Tonfilm den Stummfilm killte!
    Damien Chazelle, seit seinem Debütfilm WHIPLASH, einer der Filmemacher, wo ich mich immer auf seine neuesten Geniestreiche freue, hat sich hier nicht künstlerisch ausgetobt, mit 189 Minuten Laufzeit ist ihm BABYLON etwas zu lang geraten …
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    20.01.2023
    21:39 Uhr
  • Bewertung

    Der beste Film ist das Leben selbst

    Exklusiv für Uncut
    Kurz vor dem Ende des Films nimmt eine Kamera die tanzenden Nellie und Manny in einem kleinen Lokal auf. Vergessen sind in diesem singulären Moment all die Wirrungen der Jahre, all die Schwierigkeiten des Filmemachens, all die Missverständnisse. Eine biblische Erzählung im Neuen Testament berichtet vom blasphemischen Versuch der babylonischen Einwohner*innen, einen Turm bis zum Himmel zu bauen: der Turmbau zu Babel. Gott bestraft dieses Vorhaben, indem er den Menschen mehrere Sprachen gibt, was weitreichende Missverständnisse zur Konsequenz hatte.

    In den 1920er-Jahren wurde auch dem Medium Film die Sprache gegeben. Aus dem Stummfilm entwickelte sich der Tonfilm, was „The Artist“ bereits 2011 hervorragend thematisiert – als Stummfilm. Der amerikanisch-französische Regisseur Damien Chazelle geht in „Babylon“ einen gänzlich anderen Weg. Oscar-prämiert für „La La Land“, in dem es ebenso um den Schauspiel-Traum geht, zeigt er analog zur biblischen Erzählung zwar auch die extreme Veränderung, die sich durch den Einfall des Tons in den Film ergeben hat; im Gegensatz zu „The Artist“ bleibt er aber alles andere als stumm, sondern kontrastiert die gezeigte Situation mit den Hintergründen des Showbusiness. Soll heißen: in der Stummfilmzeit präsentiert Chazelle eine Expedition in eine dekadente und obszöne Welt mit Feierlichkeiten, Drogenexzessen und Sexorgien, während „Babylon“ mit Aufkommen des Tonfilms ruhiger und melodramatischer wird, was der filmischen Realität durch den Hays Code entspricht.

    Im Detail spannt sich die versatzstückhafte Geschichte von 1927 bis 1952. Wir sehen durch die Augen des mexikanischen Newcomers Manny Torres (Diego Calva) die fesselnde Hollywood-Welt, in der sich der Stummfilmstar Jack Conrad (Brad Pitt) und die aufstrebende Nellie LeRoy (Margot Robbie) behaupten müssen. Während der charismatische, dem Alkohol zugewandte Conrad bald der Vergangenheit hinterherläuft, sind die ehrgeizigen Manny und Nellie zu allem bereit, um in der neuen Traumfabrik Fuß zu fassen – jede Person auf ihre Weise. Auf- und Abstieg liegen eng beieinander. Interessant ist zudem die Nebenhandlung über den Jazz-Musiker Sidney Palmer, der nicht vom Wechsel von Stumm- auf Tonfilm betroffen ist und trotzdem mit der rücksichtlosen Branche hadert.

    Es ist kein Geheimnis, dass dieser Bilderrausch fasziniert. Damien Chazelle hat sein „La La Land“-Team erneut versammelt und inszeniert dreistündige Beklemmung, Hektik und Überreizung gleichermaßen. Linus Sandgren sorgt für eine Kamera, die alles zeigt, die Distanz wahrt und doch so nah ist, dass sie gar Schlammflecken bekommt, die mit besonderen Perspektiven, Fahrten und Drehungen das Besondere hervorhebt, schlicht eine meisterhafte Leistung. Justin Hurwitz, frisch mit dem Golden Globe für die beste Musik ausgezeichnet, unterlegt die Szenen mit einer treibenden Jazz-Rock-Techno-Melange. Auch Ton, Szenenbild, Kostüme und insbesondere der dynamisch-turbulente Schnitt überzeugen auf einer Ebene, die sich berechtigte Hoffnungen auf Oscar-Nominierungen machen kann. Regie und Drehbuch bestechen mit Kreativität, wenn die 1920er-Dreharbeiten gezeigt werden und ein Orchester mitten in einer mittelalterlichen Schlacht, bei der gar ein Statist stirbt, platziert wird. In diesen Momenten entfaltet das Gesehene eine starke choreographische Wucht. Elemente von Fellini, Scorsese und Kubrick finden den Weg in dieses sündhafte Abenteuer.

    In erstaunlicher Form ist der Schauspielcast. Mit steigendem Alter umgibt den letzten echten Hollywood-Star Brad Pitt eine Elder-Statesman-Aura, die er mit einer Mischung aus trockenem Humor und ruhiger Melancholie glänzend besetzt. Seine italienische Aussprache ist mit einem Augenzwinkern aber seit „Inglourious Basterds“ nicht besser geworden. Der wenig bekannte Diego Calva hält erstaunlich gut mit der prominenten Garde mit. Die Ur- und Naturgewalt in „Babylon“ ist jedoch Margot Robbie, die mit Hang zum Overacting hier eine sensationelle, oscarwürdige Darbietung liefert – von tänzerischer Physis über einen Schlangenkampf bis zu dicken Tränen. Vollkommen absurde Rollen spielen zudem Spike Jonze und Tobey Maguire. Mit Letzterem tauchen wir ab in eine dunkle Welt Hollywoods voller Horror und Snuff.

    Und dennoch – trotz aller wahrlich starken Elementen – verliert man irgendwann die Figuren etwas aus den bereits überforderten Augen. Man kann Überambition attestieren, wenn durch die episodenhafte Erzählweise kein Charakter den emotionalen Kern dieses Spektakels abbildet. Chazelles „Babylon“ schafft den Turmbau in seiner eigenen Stadt nicht. Der chaotische Rausch variiert von der Kernaussage, die der Film insbesondere mit dem oben erwähnten Tanz im kleinen Lokal ins Visier nimmt: der beste Film ist das Leben selbst. Missverständnisse werden nicht aufgelöst, sprachliche Verwirrungen wie im alten Babel bleiben bestehen und das Leben selbst erfährt eine Verzerrung, teils fehlen den Figuren konsequent zu Ende gedachte Profile und der Handlung ein ganzheitlicher Faden, sodass der Film seiner eigenen Maxime unterlegen ist. Dazu passt auch die interpretatorische Vielfalt. Chazelle streift Themen wie Musik als zeitlose Kunst, Identität zwischen Privat und Öffentlichkeit (Blackfacing), Klassenkampf gegen die prätentiöse Elite, Heteronormativität, Feminismus und bildet Allegorien auf moderne Phänomene wie Trends, Shitstorms oder Massenmedien. Und insgesamt ist dieser inhaltliche Blumenstrauß maßlos groß.

    Trotzdem überwiegt das Positive. „Babylon“ von Damien Chazelle nimmt uns mit auf eine euphorisch-hemmungslose Party, einen hedonistischen Streifzug durch die Zeitgeschichte mit genüsslichem Humor und explosiver Dramaturgie, zeigt einen überambitionierten Episodenfilm über das Streben und Scheitern, bevor am Ende die emotionale Wärme in diesem Fiebertraum nicht richtig ansteigen will. „Babylon“ saugt uns hinein, er zieht uns beinahe magisch an, bewirft uns aber mit allerlei Themen und findet bis auf die exzessive Form keine Einheitlichkeit – auf gleichwohl hohem Niveau mit einem magischen Ende als Hommage an das Kino selbst.
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    18.01.2023
    15:17 Uhr
    • Testament

      Besten Dank für dein Review, Andrestoteles - kleine sachliche Korrektur: Der Mythos vom Turmbau zu Babel entstammt natürlich dem ALTEN, nicht dem Neuen Testament.
      22.01.2023
      11:00 Uhr