Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Der amerikanische Indie ist tot! Es lebe der amerikanische Indie!

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „The Feeling That the Time for Doing Something Has Passed“ kommt daher, wie ein Relikt aus einer Zeit als Greta Gerwig noch wenigen bekannt war und das auch nur in Zusammenhang mit mumblecore. Wir begegnen Brooklyn Hipstern, es wird LaCroix getrunken und auf Dates werden sich künstlerische schwarz-weiß Filme mit Untertiteln angeschaut. Der obligatorische Besuch eines Performance-Kunst Auftritts darf natürlich auch nicht fehlen, wobei all diese klassischen Eckpfeiler von Joanna Arnow einen neuen Anstrich bekommen. Die Ironie ist nicht völlig aus diesen Situationen entfernt, wird aber von einer gewissen naiven Romantik überschattet. Arnows Protagonistin bewegt sich wie ein Fremdkörper hindurch, ist sie doch nur den Umgang mit ihren Mastern und Sirs gewöhnt. In einem hierfür typischen Moment trifft sich die Protagonistin Ann (gemimt von der Regisseurin) mit ihrem älteren Lover zu einem BDSM play-date bei dem er ihr befiehlt sich nach vorn zu beugen und die Arschbacken zu spreizen, so weit so gut, das könnte in jede Richtung gehen, die Regisseurin entscheidet sich für tiefschwarzen Humor, denn Anns Gesicht ist auf ein Familienfoto gerichtet, auf dem ihr Spielkamerad als Kleinkind zwischen den Eltern abgebildet ist. Schnitt. Freud lässt grüßen.
    Diese Vignette sorgte übrigens dafür, dass so manche Person den Kinosaal verließ. Als Ausreißer darf sie allerdings keinesfalls verstanden werden. Unsere Protagonistin ist gefühlt die Hälfte der Laufzeit nackt, Kenner*innen der Lena Dunham Serie „Girls“ dürfte das kaum rühren. Anns Persönlichkeit erinnert allerdings eher an Figuren wie Daria mit ihrer monotonen, indifferenten Art. Das polare Gegenteil von Lena Dunhams Hannah Horvath also. Anns Verhalten kann teilweise als Reaktion auf ihre Umwelt verstanden werden, welche ihr nicht minder indifferent gegenübertritt. So wird ihr z.B. in der Arbeit ein Preis für das einjährige Jubiläum übergeben, obwohl sie bereits seit drei Jahren angestellt ist. Solchen Momenten folgt ein rascher Schnitt, fast aus einer Notwendigkeit heraus, um nicht in die Traurigkeit abzurutschen. Wobei diese visuell bereits präsent scheint. Die Räume wirken kalt und ausgehöhlt und die Figuren als wären sie meilenweit voneinander entfernt, oceans apart, obwohl sie sich gegenübersitzen. Diese visuelle Kälte erinnert, wenn auch in abgeschwächter Form, an die Filme des Schweden Roy Andersson.

    Der sketch-artige Aufbau des Films macht mit der Zeit etwas überdrüssig, das ist nicht zwingend ein Fehler, immerhin spiegeln die einzelnen Szenen einen monotonen Alltag wider. Ein Alltag in dem für den ehemaligen Kollegen eine Collage aus zusammen gemachten, die Langeweile am Job einfangenden Fotos als Abschiedsgeschenk gebastelt wird. Der Film entgleist allerdings sobald Ann eine ernste Beziehung mit einem Mann eingeht. Dieses Kapitel scheint ewig anzudauern, wobei durchgehend klar ist, dass die Beziehung nichts Langlebiges sein wird. Das Filmende lässt das zwar offen, aber Anns Verhalten gibt Anzeichen. Sie scheint sich den zärtlichen Umgang mit geliebten Menschen von ihrem Freund abzugucken. Es ist ihr also fremd, was ihre Beziehung zu ihren Eltern ebenfalls aufzeigt. Nichts als Gespräche übers Wetter und das Drängen ihrer Mutter sie solle die Banane für die morgige Zugfahrt schon jetzt einpacken. Es wird aneinander vorbeigeredet. Nur in den Aufgaben ihrer Master herrscht Klarheit.

    Arnows Film ist an vielen Stellen köstlich komisch, was ihn sehenswert macht, nur sollte man gefasst darauf sein, dass sich seine Einzelszenen nicht unbedingt zu einem vollständig zufriedenstellenden Ganzen zusammenfügen. Pralinen in einem Plastiksackerl, anstelle einer Schachtel. Interessant zu sehen wäre der Cannes-Schnitt des Films gewesen, der anscheinend voll von Lizenzmusik war. Die Musik hätte wahrscheinlich nichts an meinem generellen Empfinden geändert oder sich als Kleber bewehrt gemacht, aber es zeugt von Arnows Können und einem bereits entwickelten eigenen Stil, dass ich wissen will, wie sie Musik einsetzt. Hoffentlich kommt noch mehr seitens Joanna Arnows, das amerikanische Independent Kino braucht ihren Blick.
    nhrts8ogcqrvps7g.jpg-large_e303dd8a9e.jpeg
    (Lennart-Sean Pietsch)
    30.12.2023
    22:50 Uhr
    What Really Is Creamed Corn?