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  • Bewertung

    Das Ende naht. Das Ende war schon da.

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die Gegenwart ist schwarz-weiß, die Vergangenheit erstrahlt in Farbe, genauso die digitale Welt samt ihrer sozialer Medien. Das liegt daran, dass es für das Hier und Jetzt bereits zu spät ist, es ist bereits Vergangenheit. Nicht zukunftsorientiert. Wie denn auch, wenn es keine gibt. Die Uhr im Wohnzimmer hat keine Zeiger, unter ihr stehen die Worte: „Es ist später als du denkst.“ Dort wo einst Wohnhäuser standen, prangt nun gewaltig und nutzlos der Parlamentspalast. Die Bewohner*innen, ob lebendig oder bereits tot, werden übersiedelt, müssen weichen. In einem TikTok-Video baden Männer in einem gerade ausgehobenen Grab.

    An einem endlos scheinenden Tag muss die bei einer Filmfirma angestellte Angela verschiedenste Leute mit schweren Arbeitsunfällen abgrasen um die passende Person für einen Werbespot für die Wichtigkeit von Sicherheitshelmen zu finden. Sie kämpft mit der Müdigkeit, das Radio läuft durchgehend. Ein Mann singt davon die Hände für die Putzfrau zu erheben oder es doch zu lassen, da sie sie sowieso nicht nutzen kann. In Pausen zückt Angela ihr Handy, sucht sich ihren Macho-Filter heraus und drückt auf record. Andrew Tate Mentalitäten werden durch sie an die Spitze getrieben. Ein Ventil für ihre Wut. Die Sprache einer verrohten Welt auf der Zunge, hoffend, dass noch genügend schlaue Menschen existieren, die ihre Satire für das verstehen, was sie ist. Mit Angela bescheren uns Ilinca Manolache und Radu Jude eine der coolsten Filmprotagonist*innen der letzten Jahre.

    „Do Not Expext Too Much from the End of the World“ ist ein Roadmovie, das eigentlich keiner ist. Hier ist die Fahrt nicht mit einer Reise verbunden, sondern mit Arbeit. Das ist eine völlig andere Bedeutung. Angelas aggressives Kuppeln, die lauernde Gefahr des Unfalls. Der Film ist ein Roadmovie im wortwörtlichen Sinn, es geht hier um Straßen, endlos viele Straßen voller Verkehr. Jude zeigt uns eine Diashow von Kreuzen für all jene, die auf einer der gefährlichsten Straßen Rumäniens ihr Leben verloren. Eine Straße mit mehr Toten als Kilometermarkierungen. Der Tod ist überall. Er verliert fast seine Bedeutung, seinen Ernst.

    Der rohen, grauen Gegenwart werden Filmausschnitte des einzigen rumänischen Films mit einer fahrenden Frau in der Hauptrolle („Angela merge mai departe“, 1982) gegenübergestellt. Obwohl, eigentlich läuft alles parallel. Diese fiktive strahlende Vergangenheit dient vielmehr als Alternative oder Utopie. Einzig als diese zwei Ebenen sich kreuzen, ändert sich die Wahrnehmung der Vergangenheit. Da ist ihr Ursprung in der Erzählung aus der Gegenwart, rückwärts sieht die Lage viel trister aus.

    Jude zieht ein Kompendium an Referenzen heran, bei dem ich kaum mitkomme, daher versuche ich es erst gar nicht, sondern lasse es auf mich niederprasseln. Proust auf dem Nachttisch, Muriel Sparks durchs Autofenster gekauft. Rumänien als Müllhalde für den Abfall des restlichen Europas und Quelle für unsere Holzindustrie. Uwe Boll spielt sich selbst in einem skurrilen Abstecher und Nina Hoss stößt kurz als die Ur-Ur-Ur-Enkelin Goethes dazu. Österreich findet ebenfalls Erwähnung als das Land Bernhards und Waldheims. Die Zeit steht still, history repeats itself.

    In einer quälend langen Abschlussszene wird nochmal die Unmöglichkeit verdeutlicht, für das Befolgen von Regeln belohnt zu werden. Der Kapitalismus belohnt seine Schüler*innen nicht. Bei dem Dreh für das Lehrvideo/den Werbeclip von Schutzhelmen wird die Wahrheit so lange demontiert, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Sie war nie von Belang.

    Mit „Do Not Expect Too Much from the End of the World“ hat Radu Jude eine Wunderkerze mit ewig langem Stiel geschaffen. Eine funkensprühende Aneinanderreibung von all dem was das Medium Film bieten kann. Ein Protestfilm mit langem Atem, aber auch langer Laufzeit. Nehmt also Kompressionsstrümpfe und Schutzhelme mit.
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    (Lennart-Sean Pietsch)
    12.11.2023
    22:23 Uhr
    What Really Is Creamed Corn?