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  • Sklaventreiben in Bukarest

    Immer wieder ruft die Europäische Union bei ihr an, Beethovens Ode an die Freude tönt als elektronische Quietschtonleiter aus dem Smartphone von Angela, die als völlig übermüdete Produktionsassistentin und eierlegende Wollmilchsau eines österreichischen „Schlampenvereins“ von Pontius zu Pilatus fährt, um ihre Tagesagenda zu erledigen. Um kurz vor sieben aus dem Bett zu steigen, klingt zwar nicht nach gottlos früh, doch Angela kommt wie Landvermesser K. aus Kafkas Das Schloss nicht zur Ruhe. Obszöne Akkordarbeit bringt sie dazu, in ähnlich obszöner Weise auf Social-Media alles und jeden in den Dreck zu ziehen, vorwiegend in vulgärem Gossenton und von Fellatio bis zum Cunnilingus sexuelle Verdorbenheit nicht nur den neuen britischen König angedeihen lässt, sondern auch diverse Mütter, Väter und sowieso der ganze Rest. Als rumänischer Borat mit Gesichtsfilter macht sie ihrer wütenden Ohnmacht freien Lauf. Hätte sie dieses Ventil nicht, wäre sie womöglich längst Amok gelaufen.

    Stattdessen beweist sie zumindest so viel Zähigkeit und Durchhaltevermögen, um die Opfer diverser Arbeitsunfälle abzuklappern und diese für einen Werbefilm als Testimonials für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewinnen. Dass dabei unbezahlte Überstunden, Übermüdung, mangelnde Infrastruktur und Missstände in der Arbeitssicherheit im eigentlichen dafür schuld sind, dass manche von denen nicht mehr aufrecht stehen können, ist ein Umstand, den der westeuropäische Konzern unter den Teppich kehren will. Schnell wird klar: Radu Jude kritisiert in seinem neuen, massiv überlangen Streifen Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt jene Mitgliedstaaten der EU, die genug Einfluss, Macht und Geld besitzen, um den ehemaligen Ostblock nach Strich und Faden auf den Kopf zu scheißen.

    Das Outsourcing in Billigländer ist leistbar und ungefährlich, für jene, die anschaffen, denn Kontrolle gibt es keine, Beschwerdestellen ebenso wenig und die Lust an der Ausbeutung einfach zu groß, um sich ihr nicht hinzugeben. Das ist harter Stoff, wenn Radu Jude auch gewillt gewesen wäre, nicht nur Ilinca Manolache als Mädchen für Alles beim Autofahren zuzusehen, während sie Kaugummi kaut und die Welt beschimpft. Der Tag im Leben dieser Angela, die eine Seelenverwandte aus den Achtzigern zu haben scheint, die ebenfalls Angela heisst und auf naiver Retro-Schiene in ihrem Taxi herumkurvt, um konservative Sexisten zu kutschieren, ist fast schon als Roadmovie zu verfolgen, während die Kamera unbeirrt und in grobkörnigem Schwarzweiß dem rechten Profil der Ausgepowerten folgt. Viel passiert nicht dabei, selbst die Schimpftiraden sind lediglich ein trivialer Ausdruck für allerlei Missstände, die es überall auf der Welt genauso gibt, die nicht unbedingt typisch rumänisch sind, sondern alle Länder betreffen, die vom Kapitalkolonialismus unterwandert und kaputtgemacht worden sind. Sudabeh Mortezai lässt in ihrem Film Europa Ähnliches an die Oberfläche sickern. Konventioneller zwar, doch weniger ausufernd.

    Früher war alles besser, so scheint uns Radu Jude sagen zu wollen, früher war Bukarest noch das Märchen einer Taxi Driver-Romanze, frei von Feminismus und sonstigem woken Zeugs, überladen mit billigem Schlagerscore und irritierend nostalgisch. Dass Radu seine Sequenzen dann plötzlich ausbremst, als wäre der Vorführapparat defekt, gäbe es noch analoge Filmspulen, mag verwundern und sich auch im Kontext zum restlichen Film zumindest für mich nicht erklären. Die abrupte Schnitttechnik ist Radus Stil, das disharmonische Timing seiner Szenen ganz bewusst angewandt. Wenn dieser dann der gefährlichsten Straße Rumäniens seinen Respekt zollt und sein Publikum aus dem Flow reißt, ist auch das eine bewusste Disharmonie, die allerdings nirgendwo offensichtlich hinführen soll. Am Ende lässt Jude die Kamera in einer gefühlt ewigen Plansequenz laufen, Dialoge der Schauspieler aus dem Off sind das bisschen Salz in der Suppe, während alles andere handzahm bleibt, wenig Biss hat, einfach nicht ans Eingemachte gehen will, wie bei seinem Vorgänger Bad Luck Banging or Loony Porn. Als garstige Satire auf die Scheinheiligkeit rumänischer Biedermänner- und frauen kann die wild fabulierende und nicht weniger avantgardistische Groteske überzeugen – der Sarkasmus zur Arbeitslage der Nation hingegen kokettiert kaum mit Kuriositäten und bringt lediglich Widersprüche aufs Tapet, die im Kapitalismus nicht nur in Rumänien gang und gäbe sind.

    Warum so kleinlaut, Radu Jude? Dass sich Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt mehr zum Experiment als zum treffsicheren Statement mausert, tut der Faszination für völlig unorthodoxes Anarcho-Kino, das keinem Regelwerk mehr folgt, keinen Abbruch. Trotz der satten Laufzeit von über 160 Minuten sind Radus Tagesbetrachtungen zwar schwachbrüstig, aber niemals langweilig. Vielleicht, weil das Überrumpeln von Sehgewohnheiten in diesem Werk letztlich alles ist. Der Rest nur Allerwelts-Ambition.



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    24.02.2024
    13:17 Uhr
  • Bewertung

    Das Ende naht. Das Ende war schon da.

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die Gegenwart ist schwarz-weiß, die Vergangenheit erstrahlt in Farbe, genauso die digitale Welt samt ihrer sozialer Medien. Das liegt daran, dass es für das Hier und Jetzt bereits zu spät ist, es ist bereits Vergangenheit. Nicht zukunftsorientiert. Wie denn auch, wenn es keine gibt. Die Uhr im Wohnzimmer hat keine Zeiger, unter ihr stehen die Worte: „Es ist später als du denkst.“ Dort wo einst Wohnhäuser standen, prangt nun gewaltig und nutzlos der Parlamentspalast. Die Bewohner*innen, ob lebendig oder bereits tot, werden übersiedelt, müssen weichen. In einem TikTok-Video baden Männer in einem gerade ausgehobenen Grab.

    An einem endlos scheinenden Tag muss die bei einer Filmfirma angestellte Angela verschiedenste Leute mit schweren Arbeitsunfällen abgrasen um die passende Person für einen Werbespot für die Wichtigkeit von Sicherheitshelmen zu finden. Sie kämpft mit der Müdigkeit, das Radio läuft durchgehend. Ein Mann singt davon die Hände für die Putzfrau zu erheben oder es doch zu lassen, da sie sie sowieso nicht nutzen kann. In Pausen zückt Angela ihr Handy, sucht sich ihren Macho-Filter heraus und drückt auf record. Andrew Tate Mentalitäten werden durch sie an die Spitze getrieben. Ein Ventil für ihre Wut. Die Sprache einer verrohten Welt auf der Zunge, hoffend, dass noch genügend schlaue Menschen existieren, die ihre Satire für das verstehen, was sie ist. Mit Angela bescheren uns Ilinca Manolache und Radu Jude eine der coolsten Filmprotagonist*innen der letzten Jahre.

    „Do Not Expext Too Much from the End of the World“ ist ein Roadmovie, das eigentlich keiner ist. Hier ist die Fahrt nicht mit einer Reise verbunden, sondern mit Arbeit. Das ist eine völlig andere Bedeutung. Angelas aggressives Kuppeln, die lauernde Gefahr des Unfalls. Der Film ist ein Roadmovie im wortwörtlichen Sinn, es geht hier um Straßen, endlos viele Straßen voller Verkehr. Jude zeigt uns eine Diashow von Kreuzen für all jene, die auf einer der gefährlichsten Straßen Rumäniens ihr Leben verloren. Eine Straße mit mehr Toten als Kilometermarkierungen. Der Tod ist überall. Er verliert fast seine Bedeutung, seinen Ernst.

    Der rohen, grauen Gegenwart werden Filmausschnitte des einzigen rumänischen Films mit einer fahrenden Frau in der Hauptrolle („Angela merge mai departe“, 1982) gegenübergestellt. Obwohl, eigentlich läuft alles parallel. Diese fiktive strahlende Vergangenheit dient vielmehr als Alternative oder Utopie. Einzig als diese zwei Ebenen sich kreuzen, ändert sich die Wahrnehmung der Vergangenheit. Da ist ihr Ursprung in der Erzählung aus der Gegenwart, rückwärts sieht die Lage viel trister aus.

    Jude zieht ein Kompendium an Referenzen heran, bei dem ich kaum mitkomme, daher versuche ich es erst gar nicht, sondern lasse es auf mich niederprasseln. Proust auf dem Nachttisch, Muriel Sparks durchs Autofenster gekauft. Rumänien als Müllhalde für den Abfall des restlichen Europas und Quelle für unsere Holzindustrie. Uwe Boll spielt sich selbst in einem skurrilen Abstecher und Nina Hoss stößt kurz als die Ur-Ur-Ur-Enkelin Goethes dazu. Österreich findet ebenfalls Erwähnung als das Land Bernhards und Waldheims. Die Zeit steht still, history repeats itself.

    In einer quälend langen Abschlussszene wird nochmal die Unmöglichkeit verdeutlicht, für das Befolgen von Regeln belohnt zu werden. Der Kapitalismus belohnt seine Schüler*innen nicht. Bei dem Dreh für das Lehrvideo/den Werbeclip von Schutzhelmen wird die Wahrheit so lange demontiert, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Sie war nie von Belang.

    Mit „Do Not Expect Too Much from the End of the World“ hat Radu Jude eine Wunderkerze mit ewig langem Stiel geschaffen. Eine funkensprühende Aneinanderreibung von all dem was das Medium Film bieten kann. Ein Protestfilm mit langem Atem, aber auch langer Laufzeit. Nehmt also Kompressionsstrümpfe und Schutzhelme mit.
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    12.11.2023
    22:23 Uhr