Filmkritik zu Aggro Dr1ft

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Psychedelisches Kino in Reinform

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Filmfestival Venedig in den Abendstunden - Programm für die harten Gemüter ist angesagt. Das Level der Verrücktheit ist mit einer Szene schnell zusammengefasst: Ein Mann mit Engelsflügeln tanzt mit Katanas umher, umringt von halbnackten Frauen, die er mit „Dance, Bitches!“ anfeuert. Sie tun es ihm gleich. Mit Wärmebildkamera im 4:3-Format eingefangen und hämmernden Klängen unterlegt, wird der nihilistische Voice-Over Kommentar abgerundet.

    Bo (Jordi Mollà) ist ein Auftragskiller und bezeichnet sich selbst als bester Assassin der Welt. Sobald der nächste Auftrag reinkommt, wütet er als Sensemann mal mehr (wenn das Gericht blutig serviert werden soll), mal weniger (von „sauber“ ist die Rede) durch seinen Bezirk. Moral kennt er dabei nicht, wie auch sonst nichts - ein echter Nihilist eben. Nur, wenn er Zuhause bei der Familie, inklusive den zwei Kindern ankommt, endet die grausame Welt, von der er Teil ist. Allein durch das Haus voller Liebe ist er noch ein Mensch, andernfalls wäre er wohl schon längst zugrunde gegangen. Ein letzter Auftrag steht jedoch an, um die Welt von dem puren Bösen zu befreien.

    Harmony Korine ist wieder zurück und widmet sich einmal mehr den Themen, die ihn ohnehin interessieren: Gewalt, Aggressionen und das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sein neuestes Werk „Aggro Dr1ft“ knüpft dabei fast schon nahtlos an den mittlerweile fünf Jahre alten „Spring Breakers“ an. Statt Fingerspitzengefühl (man denke nur an die legendäre Szene zurück, in der Britney Spears Song „Everytime“ einen ganz neuen Anstrich verpasst bekam) kommt nun vermehrt Drastik zum Einsatz. Dafür sorgen nicht nur die Wärmebildaufnahmen, die schon in den ersten zehn Minuten in den Bann ziehen. Es bleibt jedoch nicht auf Dauer.

    Anfangs noch weiß-gelb (für heiß), über rot und violett (warm) bis zu blau (kalt), wird die visuelle Spielerei schnell über Bord geworfen. Dinge, die eigentlich rot sein müssten, sind blau, diese sind wiederum gelb. Bald ist Korine im RGB-Spektrum (rot-grün-blau) angekommen und taucht seine Bilder immer willkürlicher entweder in die Grundfarben oder ein Mosaik aus zig Farbtönen. Der Grad der Verspieltheit steigt weiter an. Substanz wird in Form von Symbolik eingeflochten (diese reichen von Engelsflügeln und Dämonengesichter bis hin zu Cyberpunk-Körpermodifizierungen), um sich nicht der Kritik aussetzen zu müssen, es handle sich bei seinem Werk nur um Farbspielereien. Die konstante Willkürlichkeit, die resultiert, erinnert in diesen Tagen wenig überraschend an Bild- und Videokreationen, bei denen künstliche Intelligenz zum Einsatz kam. Wüsste man nicht, dass es sich um Wärmebilder handelt, würde man den Unterschied zwischen beiden wohl nur schwerlich erkennen.

    Dass „Aggro Dr1ft“ seine Munition schnell verschießt, spielt ihm beileibe nicht in die Karten. Bereits nach zehn Minuten ist man nämlich die hämmernde Akustik und bunte Optik schon gewöhnt, nicht vorhandene Schockmomente sorgen dagegen vielmehr für eine innerliche Kälte. Überfordernd ist der Film damit nicht. Aufwühlend, paralysierend oder gar nervig auf eine positive Art, ebensowenig. Die Frage, die sich stellt, ist aber durchaus eine interessante: Kann man Filme überhaupt mit einen anderen Zugang schauen als einen emotionalen und oder intellektuellen? Wahrscheinlich ja, nur braucht es dafür wohl einen anderen Bewusstseinszustand. Das sagt nicht gerade wenig über den Film aus, da Parallelen zu einem Drogenrausch durchaus angebracht sind. Letztlich steht der Experimentalfilm für eben jenes, nämlich einen psychedelischen Trip, der erlebt werden muss.

    Fazit: „Aggro Dr1ft“ wird zu Beginn der Kinoauswertung vermutlich mit Trendwörtern bestückt werden. Skandalfilm, ein Rausch für die Sinne oder ein unvergleichliches cineastisches Erlebnis, sind nur einige Beispiele, die im Bereich des Möglichen liegen. Wie sehr diese Zuschreibungen tatsächlich zutreffen, muss jedoch jeder selbst am eigenen Körper erfahren. Da die Experimentierfreudigkeit weder langanhaltend die Sinne kitzelt, noch aggressiv genug ist, reicht es für meine Begriffe nur für ein durchschnittliches Urteil.
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    (Michael Gasch)
    03.09.2023
    21:41 Uhr