Filmkritik zu Maestro

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    Ein kleines Portrait über einen großen Dirigent

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Bradley Cooper, der bereits in seinem Regiedebüt und Erfolgsfilm „A star is born“ von der Musik angezogen wurde, nimmt sich erneut seiner Leidenschaft an. Sein neuestes Werk mit dem Titel „Maestro“, welches auf den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig Premiere feierte, hält das Leben der musikalischen Koryphäe Leonard Bernstein fest. Der begabte Schauspieler übernimmt dabei nicht nur die Arbeit auf dem Regiestuhl und als Drehbuchautor, sondern auch die Verkörperung des großen Dirigenten. Namhafte Produzenten wie Steven Spielberg und Martin Scorsese erwecken zusätzlich den Eindruck, dass es sich bei Maestro um einen der ganz großen Filme aus 2023 handelt.

    Als Leonard Bernstein (Bradley Cooper) im jungen Alter Felicia Montealegre (Carey Mulligan) kennenlernt, ist es um ihn geschehen. Die Liebe, die ihn erst vollkommen in Beschlag nimmt, weicht auf Dauer immer mehr seiner großen Leidenschaft der Musik. Nach der Hochzeit und drei Kindern, wird das Paar aufgrund dessen mit einer Hürde nach der anderen konfrontiert. Bernsteins hinzukommende Neigung zur Homosexualität, die er verschweigt, macht das Leben der doch sehr innigen Beziehung noch komplizierter.

    Sechs Monate ist es gerade einmal her, als „Tár“ über einen weiblichen Maestro in den Kinos lief. Beide Portraits über Dirigenten lassen sich daher perfekt miteinander vergleichen. Dass die Arbeit an „Maestro“ bereits vor zehn Jahren anfing und durch mehrere Hände in Hollywood herumgereicht wurde, erklärt schnell, warum beide Filme so heißen, wie sie nun heißen. Dabei wäre eigentlich eine andere Konstellation sinnvoller - wenn „Maestro“ „Bernstein“ heißen würde und „Tár“ „Maestro“, was an mehreren Gründen liegt. Das Leben des Musikgenies und des Menschens sind nämlich zwei Paar Schuhe, wie das Biopic-Double sehr deutlich macht. Die Annahme, dass Coopers Film den Musiker, den Maestro, porträtiert, trifft nämlich nur bedingt zu. Tatsächlich ist der Anteil des alltäglichen und des musikalischen Lebens nahezu komplett in der Waage.

    Das mag natürlich erst einmal nicht per se schlecht sein. Dadurch, dass Bernsteins musikalisches Genie nur in sehr raren Momenten unter die Lupe genommen wird, stellt sich jedoch immer wieder ein unbefriedigendes Gefühl ein. Zu sehr wünscht man sich zum Beispiel, dass einmal erklärt wird, was Bernstein so besonders macht, obwohl er augenscheinlich auch nur mit den Händen wild herumfuchtelt. Und gibt es überhaupt schlechte Dirigenten? Nach Antworten auf jene Fragen sucht man in Maestro leider vergebens. Allein eine kurze Exkursion in Lydia Társ Musikstudium bietet zumindest in der Hinsicht einen kleinen Einblick. Cooper hingegen verweigert sich diesem musikalischen Lernprozess und schneidet dies, wenn überhaupt, nur selten an. Kommt beispielsweise gegen Ende hin eine Szene, in der Bernstein einen Schüler unterrichtet und innerhalb von drei Sekunden zeigt, wie es richtig geht, passiert dies doch viel zu schnell. Das Genie des Ausnahmedirigenten bleibt damit eine Blackbox, sein Wesen zur Hälfte ein Mysterium.

    Stattdessen wandelt Cooper mehr im Bereich des Dramatischen. Dabei handelt es sich um eine suboptimale Entscheidung, da „Maestro“ nie an die Vielschichtigkeit anderer, sehr viel besserer, Biopics bedeutender Menschen heranreicht. Entführt uns die Kamera im Laufe der Geschichte dann doch einmal in einen Konzertsaal, zeigt sich zudem eine weitere Problematik. Grandios sind diese Szenen, in denen das große Orchester uns mit klassischen Kompositionen beschallt, doch handelt es sich hier wirklich um Bernstein als Maestro? Ist es nicht viel mehr der Komponist (unter anderem wird Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch erwähnt), der Bernsteins Leben erst Sinn verleiht? Es sind Fragen, die sich Cooper nicht stellt, wodurch sein Werk anfällig für Kritik wird.

    Fazit: Wenn nicht gerade ein gigantisches Orchester in der englischen Ely Kathedrale die Schönheit klassischer Musik einfängt oder das Bernstein-Paar unter die Lupe genommen wird, hat „Maestro“ mal mehr, mal weniger Mühe, gänzlich zu überzeugen. Das mag nicht zuletzt am Regieposten liegen, der ursprünglich an Martin Scorsese gehen sollte. Cooper hat mit seinem bereits erwähnten Regiedebüt zwar gezeigt, dass er als Regisseur Talent mitbringt, jedoch stellt sich bei „Maestro“ nicht selten der Eindruck ein, es hätte einen größeren Regisseur gebraucht, um diese Geschichte erhabener festzuhalten.
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    (Michael Gasch)
    03.09.2023
    23:31 Uhr