Filmkritik zu The Beast

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  • Bewertung

    La Bête – Das Tier in den Dschungeln der Zeit

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Es ist immer wieder interessant, wenn zwei oder mehrere Filme in einem nahen Zeitraum das gleiche oder ein ähnliches Thema bearbeiten. Denn einerseits kursiert dann einem stets der Vergleich im Kopf und andererseits bekommt man unterschiedliche Perspektiven oder Herangehensweisen serviert.

    1903 hat der amerikanisch-britische Autor Henry James eine Novelle mit dem Titel „The Beast in the Jungle“ verfasst. 120 Jahre später haben zwei Filmemacher eben jenes Schriftstück als Inspirationsquelle hergenommen – Nämlich der österreich-ungarische Patric Chiha für seinen Film „La Bête dans la jungle“ und der Franzose Bertrand Bonello für „La Bête.“ 2023 lief ersterer auf der Diagonale, letzterer auf der Viennale.

    „La Bête“, um den es nun gehen soll, gönnt sich allerdings einige künstlerische Freiheiten gegenüber der Kurzgeschichte. Gabrielle und Louis kreuzen sich nämlich immer wieder mehr zufällig über den Weg – allerdings nicht innerhalb weniger Monate, sondern auf drei verschiedenen Zeitebenen. Einmal in Los Angeles des Jahres 2014, einmal während der großen Flut in Paris 1910 und einmal in der von einer KI geleiteten Zukunft, 2044. Gabrielle scheint von mehreren Voraussagungen heimgesucht zu werden: Eine Bedrohung, ein Biest, das im Dunkeln schlummert, soll sie überraschen. Über die schicksalshaften Jahrzehnte hinweg, sind Louis und Gabrielle vor die eigenen Gefühle gestellt: Primär von Liebe und über die Angst, sich auf die verwundbare Liebe einzulassen.

    Zuallererst das Wichtigste, was das Schauen von „La Bête“ ausmacht: Die eben angetragene Inhaltsangabe erschließt sich einem nicht wirklich. Zumindest nicht in eben jener chronologischen, übersichtlicheren Struktur. Gerade in der ersten Hälfte des Films schneidet „La Bête“ die Szenen der verschiedenen Zeitebenen fast schon wahllos aneinander. Bedeutet, auf eine Szene in einer Kunstgalerie der dritten französischen Republik kann also eine Sequenz folgen, in der Gabrielle ein Jobinterview mit einem Roboter führt. Obendrein besuchen die Figuren im Jahr 2044 Clubs, die ihre Events an den 1970er oder 1980er Jahren orientieren. Inwiefern all die Zeitebenen miteinander verschränkt sind, ist verwirrend und teils unübersichtlich.
    Aber das ist nicht unbedingt negativ zu verstehen. Denn Regisseur Bertrand Bonello wiederholt trotz den unterschiedlichen Settings immer wieder die gleichen Motive, etwa von Tauben, Vorhersagerinnen und puppenartigen Wesen. Dadurch entsteht ein konstantes Déjà-vu-Gefühl, das man fast schon als lynchesk bezeichnen könnte. Und eben diese Gefühl lässt die Neugier aufflammen. Wie sind die Jahre miteinander in Relation zu stellen? Handelt es sich bei den Zeitebenen um das Schicksal? Um eine buddhistische Reinkarnation? Oder wird alles Gesehene von einer KI simuliert? Und des Weiteren lassen sich philosophische Fragen ableiten, die der Film bewusst nicht eindeutig beantwortet. Wer oder was ist zum Beispiel das titelgebende Biest? Und würden wir unsere Emotionen aufgeben, wenn wir die Möglichkeit zu hätten? Was macht das Wesen des Menschen aus?

    Damit das inhaltliche Potential auch rübergebracht wird, müssen die Darsteller:innen den Film tragen – und das tuen sie auch. Léa Seydoux in der Rolle der Gabrielle und George MacKay als Louis bestaunen mit ihrem Schauspiel. Da ihre Figuren in den Zeiten auch unterschiedliche Facetten und Gesichter annehmen, erfordert es eben auch Talent der beiden und das haben sie. MacKay kann also sowohl Romantik als auch Komik unter Beweis stellen. Und Seydoux liefert wohl mitunter die beste Performance ihrer Karriere ab.

    Natürlich profitiert „La Bête“ auch davon, dass im gleichen Jahr „La Bête dans la jungle“ erschienen ist. Gerade im Vergleich beinhaltet Bonellos Werk mehr Uneindeutigkeit und verwässert sich nicht durch eine ernüchternde Auflösung – denn für seine Auflösung muss nachgedacht werden.

    Ultimativ gelingt Bonello hiermit ein wilder Genre-Mix. Von Kostümfilm über Romantik, Incel-Porträt, düstere Science-Fiction bis hin zum Gesellschaftskommentar und einer Rising Star-Story, kommt hier alles zusammen. Sinn ergibt es erst bei der Sinnsuche in der Gesamtbetrachtung. Kann man sich auf den verkopften Charakter einlassen, stellt der sperrige Anfang kein Problem dar und evoziert eine mentale wie emotionale Herausforderung.
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    (Tobit Rohner)
    10.11.2023
    22:35 Uhr
    First milk, then Cornflakes
    just like my movie taste.

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