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    Gesucht und gefunden: eine starke Neuverfilmung

    Exklusiv für Uncut
    Kaum eine Analyse der aktuellen Filmlandschaft kommt an diesem Phänomen vorbei: Remakes als übergreifende Klammer des modernen Blockbusterkinos. Jetzt hat es auch das vielgelobte Drama „Die Farbe Lila“ von Steven Spielberg erwischt. Trotz nuancierter Klischeehaftigkeit konnte die Verfilmung mit Whoopi Goldberg aus dem Jahr 1985 überzeugen und ganze 11 Oscar-Nominierungen einheimsen. Blick auf die Ursprünge, die Adaptionsgeschichte. Der Stoff basiert auf dem gleichnamigen, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman der Autorin Alice Walker. Inhaltlich kombiniert mit dem Spielberg-Film wurde das Buch zu einem Musical verarbeitet, das 2005 uraufgeführt wurde.

    Womit haben wir es also jetzt beim Remake zu tun? Mit der Verfilmung eines Musicals, das auf einem Film beruht, der auf einem Buch basiert. Referenz schlägt Referenz schlägt Referenz. Das Ausschlachten von Stoffen bis zum letzten Medium kennzeichnet die Postmoderne. Aber vom Remake-Abgrund, der für Disney meist zu schnell kommt, hält sich „Die Farbe Lila“ erstaunlich fern. Mit „eine mutige neue Interpretation des beliebten Klassikers“ ist die knapp 30 Jahre später erscheinende Neuverfilmung überschrieben. Wieso hält die Beschreibung, was sie verspricht?

    In diesem zeitgeschichtlichen Ausschnitt verfolgen wir über vier Jahrzehnte das Leben mehrerer Frauen in den amerikanischen Südstaaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im epochalen Übergang zur Industriegesellschaft ist die anfangs 14-jährige Celie der Nukleus. Sie ist das gravitative Zentrum, in ihr treffen die Fäden zusammen. Kurz nach der Geburt ihrer Tochter wird sie sehr jung auf Weisung ihres Vaters mit Albert verheiratet, den sie stets nur „Mister“ nennt – und der ihr das Leben zur Hölle macht, sie erniedrigt und vergewaltigt. Als Rahmen dient die Trennung von ihrer Schwester Nettie, deren Briefe nie bei Celie ankommen. Shug Avery, eine mondäne Sängerin, und die toughe Nachbarin Sofia kreuzen ihre Reise. Von ihnen lernt sie in coming-of-age-Form über viele Jahre den steinigen Weg zur Ermächtigung, zur Rebellion. Gleichzeitig erleben ihre Freundinnen eigene Geschichten, vom Ansatz einer queeren Beziehung bis zum machtlosen Rassismusvorfall bei Sofia.

    Nicht nur die letzten beiden Aspekte stehen stellvertretend für den Mut der Veränderung. Wo andere Neuverfilmungen in feiger Manier alte Narrative und Szenen aufwärmen, wird etwas Neues geschaffen. Handlungselemente erfahren eine angemessene Aktualisierung. Zwischendurch im Filmverlauf könnte man Reduktion auf das Individuum vorwerfen. Einzelschicksale werden in anderen Stoffen nur als spezifische Beispiele ohne gesellschaftliche Bedeutung abgetan. Durch die Einbindung mehrerer Figuren und durch saubere Auserzählung der Geschichten gelingt dem Farbe-Lila-Remake die Benennung struktureller Probleme. Zwar im Rahmen konventioneller Erzählstruktur, aber mit erforderlicher Präzision verhandelt. Mindestens genauso einflussreich für den Grad an neuer Kreativität ist die Inszenierung.

    Handwerklich und technisch ist das Werk des Regisseurs Blitz Bazawule über viele Zweifel erhaben. Der ghanaische Filmemacher erzeugt ein hohes Maß an Authentizität über interessante Bilder und aussagekräftige Kostüme im Landleben des vorherigen Jahrhunderts. Zwischen totalen und nahen Einstellungen wechselt die dynamische Kamera im Pendel zwischen wuchtigen Tanzchoreographien und stillem Inhaltsgeschehen. Insbesondere die Revuenummern sehen fantastisch aus und werden immer wieder von reizvollen Settings gerahmt. Choreos, Humor und punktuelle Traumsequenzen lockern die dichte Handlung auf. Das alles macht den Film an sich beachtlich, ganz im Gegensatz zu den Songs, zum Musical an sich. Bedauerlicherweise bleibt kein Refrain hängen, reißen die Lieder niemanden aus den Sitzen. Das liegt explizit nicht an den gesanglichen Leistungen des Casts. Teilweise wirken die Lieder aber gar fehl am Platz, nicht geeignet in die Handlung eingebettet. Der gute Film ist besser als das mittelmäßige Musical, auf dem er wurzelt. Zumindest in der hier vorkommenden Fassung, für die 13 ursprüngliche Musicalsongs gestrichen wurden.

    Noch besser ist allerdings die über allem thronende Schauspielleistung. Naturgemäß, und das konnte schon häufig beobachtet werden, stehen Musicaladaptionen für Overacting. Klarerweise weisen Bühne als Ort und Musicals mit ihren plakativen Emotionen einen Unterschied zu Filmen aus, die in jeder Großaufnahme eine subtile Mimik fordern. Insbesondere der „Mister“ läuft Gefahr einer stumpfen Charakterisierung, Colman Domingo tritt aber nicht in diese Falle. Sensationell ist die Dreifaltigkeit aus Fantasia Barrino als Celie, Taraji P. Henson als Shug Avery und Danielle Brooks als Sofia. Tarajis schauspielerische Fähigkeiten sind bekannt („Benjamin Button“, „Hidden Figures“), sie überrascht durch stimmliche und tänzerische Kraft. Danielle Brooks ist eine Offenbarung, anfangs stark und witzig, später die tragischste Figur der Geschichte. Das Highlight, wobei eine Hervorhebung schwerfällt, ist allerdings Fantasia Barrino. Sie spielte Celie schon im 2005er-Musical, hat also keine Filmerfahrung und überragt mit einer unglaublichen Präsenz. Sensibel, wachsend, lachend, gesanglich herausragend – eine ganz starke Performance. Hoffentlich bekommen wir mehr von ihr zu sehen. Übrigens: Auch Whoopie Goldberg bekommt als frühere Celie im Spielberg-Streifen ihren Cameo-Auftritt.

    Fazit: Endlich! Ein wirklich gelungenes Remake! Eine positive Überraschung! „Die Farbe Lila“ ist inhaltlich und in der Inszenierung frisch und mutig. Selbst das Feel-Good-Ende, etwas zu lang, etwas zu schwülstig religiös, die vertraute Erzählstruktur und die vernachlässigbaren Songs trüben den Eindruck nur bedingt. Ästhetisch wertvolle Bilder, umwerfende Tanzeinlagen, passender Rhythmus und ein außerordentlich exzellenter Cast machen dieses gefühlvolle Drama zu einem sehenswerten Kinoereignis.
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    (André Masannek)
    07.02.2024
    23:13 Uhr
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