Geliebte Köchin

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Forumseintrag zu „Geliebte Köchin“ von Andretoteles


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Andretoteles (28.10.2023 16:13) Bewertung
Das kochende Handwerk als Kunstform
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Leidenschaft und Geschmack sind zwei eng verschlungene Begriffe. Geschmack ist Teil der Leidenschaft, die Leidenschaft schärft die Sinne für Geschmack. In der Verarbeitung von Lebensmitteln, im Kochen sind beide Begriffe unumgänglich. Ohne geübten Geschmack und ohne aufopfernde Leidenschaft bleibt Kochen nur eine überlebensnotwendige Tätigkeit zur Nahrungsaufnahme. Das sinnliche neue Werk von Trần Anh Hùng beinhaltet all diese Begriffe, sind doch die Filmtitel so vielfältig wie die Natur. „The Taste of Things“ als internationaler Standard-Titel. Auf Deutsch wird daraus gänzlich anders „Geliebte Köchin“, wohingegen auf der Viennale der französische Originaltitel steht: „La passion de Dodin Bouffant“. Taste und passion – Geschmack und Leidenschaft. Ein wundervoller Blick in die Küchen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und eine rührende Geschichte um ein eigenwilliges, nahbares Paar.

Eugénie (glanzleistend: Juliette Binoche) wohnt, lebt und arbeitet bei Dodin Bouffant (sehr solide: Benoît Magimel), einem ehemaligen Star-Gastronom. Beide erschaffen einzigartige Gerichte und versammeln regelmäßig eine Schar von Freunden um sich, die sie mit ihren Gaumenfreuden beglücken. Außerhalb der Küche existiert eine körperliche Zuneigung, die informeller Natur ist. Als Eugénie erkrankt, widmet Dodin ihr ein sensationelles Gericht.

Zugegeben, die Handlung ufert nicht in Komplexität aus. Im Fokus stehen die Beziehung und das Kochen. Und so wurde die Zubereitung von Speisen noch nie gezeigt. Eine Symbiose, eine Harmonie aus Handwerk, Leidenschaft und Organisation. Eine überaus dynamische Kamera fokussiert die Bewegungen der Personen und Hände und Lebensmitteln. Immersiv erzeugen die Szenen einen Sog, eine Spannung, wie aus der Vielzahl an Instrumenten, Arbeitsschritten und Zutaten die Gerichte entstehen. Verschiedene Töpfe und Techniken verdeutlichen das Handwerk. Präsentiert wird uns nicht das banale alltägliche Kochen, hier entsteht eine berauschende Energie, eine Hymne auf das Kochen im wahren, sinnlichen Kontext. Aggregatzustände werden verändert, feste Lebensmittel, flüssiges Wasser und kochender Dampf wirken im französischen Tageslicht wie ein Gemälde. Kohlen befeuern den Ofen. Mit der Ernte am Beginn bis zum Verspeisen und zu den Lobgesängen auf die Küche beim Mahl entdecken wir die Wertschöpfung der Nahrungsaufnahme. Eine bravouröse Inszenierung von Trần Anh Hùng, der gleichwohl das Drehbuch nach einer Buchvorlage schrieb. Jonathan Ricquebourg hinter der Kamera leistet hervorragende Arbeit. Als kulinarischer Berater steht der mit 14 Michelin-Sternen ausgezeichnete französische Koch Pierre Gagnaire zur Seite. Wer hätte gedacht, dass Kochen eine derartige Wirkung erzielen kann.

Auch auf der zwischenmenschlichen Ebene positionieren sich die Figuren durchaus überraschend. Wer patriarchale Ausbeutung oder toxische Männlichkeit des vergangenen Jahrhunderts erwartet, liegt falsch. Ohne Wokeness auszuschlachten, ohne Moralismus zu predigen, schafft es „La passion“ eine liebende Beziehung auf Augenhöhe darzustellen. Eugénie lehnt dankbar die mehrmaligen Heiratsanträge ab, selbst am Ende legt sie Wert darauf, von Dodin als Köchin und nicht als seine Frau betrachtet zu werden. Feminismus. Mit Eleganz. Die Betonung auf dem Handwerk, auf der Tätigkeit. Mit einem offen Interpretationsraum, da es doch das Private ist, in das Frauen jahrtausendelang gedrängt werden. Die Frau in der Küche. An anderer Stelle eine reaktionäre Parole, hier eine selbstbewusste Wahl. Das lässt Möglichkeiten zur Analyse im Zusammenspiel von Politik, Gesellschaft, Öffentlichkeit und Emanzipation.

„La passion“ begeistert und überrascht. Ein Gedicht, eine Ode an die sinnliche Wahrnehmung. Mit Augen und Ohren schmecken wir das Zubereitete. Statt gesellschaftlicher Polemik oder psychologischer Verhandlung stehen Leidenschaft, guter Geschmack und liebevolle Beziehungen im Vordergrund mit Feel-Good-Movie-Charakter. Mit Recht ist das historische Zeitstück die französische Oscar-Einsendung für den besten internationalen Film.
 
 

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