Filmkritik zu Thanksgiving

Bilder: Sony Pictures Fotos: Sony Pictures
  • Bewertung

    Gemetzel und Geschnetzel

    Exklusiv für Uncut
    Es ist die Zeit des Gebens, des selbstlosen Handelns, des besinnlichen Beisammenseins. Nein, die Rede ist tatsächlich nicht von Weihnachten, sondern einer uramerikanischen Tradition, die uns Europäern weitgehend fremdgeblieben ist: Thanksgiving. Aus austrozentrischer Sicht schwer vorstellbar (das biblisch geprägte Erntedankfest hat außer dem Namen wenig gemein), doch in den USA gilt der Festtag als die Familienfeier schlechthin. Tanten, Onkeln, Omas, Opas, Neffen, Nichten: sie alle kommen zusammen, um ein paar wohlige Stunden miteinander zu teilen. Die letzte Verschnaufpause, bevor der vorweihnachtliche Konsumirrsinn losgehen kann. Ist der Truthahn nämlich tranchiert und der Teller wieder leer, erwartet die Amis gleich der stressreichste Einkaufstag des Jahres: der Black Friday. Ein Schnäppchen hier, ein rarer Shopping-Fund da: Scharen von Menschen reißen sich um die preisreduzierte Ware. Dass bei all dem Andrang die eine oder andere Massenpanik vorprogrammiert ist, sollte kein Geheimnis sein. Die bestialischen Auswüchse einer solchen Situation demonstriert Splatterkönig Eli Roth in der Eröffnungssequenz seines aktuellen Films auf sehr unbequeme Weise. Getrieben von unbändiger Konsumgier stürzen sich hier Aberhunderte auf die Regale eines lokalen Megamarktes. Ohne Rücksicht auf Verluste. Das dabei entstehende Chaos kostet mehreren Bewohnern der Kleinstadt Plymouth ihr Leben. Exakt ein Jahr später treibt sich ein Rächer herum, der es den Verantwortlichen des Gedränges heimzahlen möchte. Ausgestattet mit traditionsträchtiger Maske des Pilgerers John Carvey, richtet der Unbekannte ein festliches Blutbad an. Und lässt kaum Reste übrig.

    Vom Fake zum Film

    Schlicht und einfach „Thanksgiving“, so lautet auch der Titel von Roths neuestem Schocker. Die Idee zum Film kam dem „Cabin Fever“ und „Hostel“-Regisseur bereits vor mehr als 15 Jahren und hat einen eher ungewöhnlichen Hintergrund. Ursprünglich handelte es sich nämlich um einen der Fake-Trailer, die 2007 an die „Grindhouse“-Hommage von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez angehängt waren. Erdacht als humorvoll-würdige Verneigung vor all dem Splattermurks, der in den 80er-Jahren den VHS-Markt dominierte. Wie Roth aber später erkannte, gab es, perplexerweise, bis dahin kaum Horrorfilme, die sich dem Truthahn-Fest widmeten. Eine Nische, die es endlich zu bedienen gehörte. So wurde diese ohne großen Hintergedanken entstandene Idee zum richtigen Plot ausgeweitet. In den Hauptrollen sind unter anderem Newcomerin Neil Verlaque, Tik-Tokerin Addison Rae und „Greys Anatomy“-Star Patrick Dempsey zu sehen. Und siehe da: auch als abendfüllender Spielfilm amüsiert der Festtagsspaß köstlich.

    Eli Roths bester Film?

    Ohne postmoderne Meta-Verirrungen und größere Doppeldeutigkeiten, zieht Roth das banal anmutende Konzept konsequent durch. Die wenig subtile Kapitalismuskritik ist lediglich verzierendes Beiwerk. Der Verlauf der Geschehnisse mag vorsehbar, geradezu schablonenhaft sein, doch bestimmte Genres richten sich meist eben nach Regeln. Nicht immer lohnt es sich, diese zu brechen. Was im Slasher zählt, das ist die Kreativität der Tötungsszenen. Selten zuvor hat sich Roth, mancherorts für seine durchwachsene Filmografie belächelt, im Slasher-Department so bemüht ausgetobt. In bester Thanksgiving-Manier, versteht sich. Ein Griff zum Fleischklopfer, den Backofen auf 300 Grad und angerichtet ist das Menschenmahl. So unangenehm und fies manche Kills sein mögen, so unterhaltsam sind sie in ihrer Inszenierung. Ein wundervoll grauslicher Mix aus abgetrennten Gliedmaßen (zuhauf über praktische Effekte entstanden) und literweise Kunstblut geben diesem Erntedankmahl das gorehaltige Etwas. Da stört auch ein wenig durchdachtes Ende nur bedingt. Denn dieses frivole Gemetzel und Geschnetzel hat Potenzial zum Festtagskult.
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    (Christian Pogatetz)
    21.11.2023
    16:08 Uhr