Filmkritik zu Oppenheimer

Bilder: Universal Pictures International Fotos: Universal Pictures International
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    The Big Bang Theorist

    Exklusiv für Uncut
    Was, wenn bei deinem Handeln nur die geringste Möglichkeit bestünde, die gesamte Menschheit auszulöschen. Würdest du es trotzdem tun? Einer hat es getan. Und Christopher Nolan widmet diesem Mann seinen neuesten Film. Einen äußerst intensiven Film.

    J. Robert Oppenheimer (Cilian Murphy) ist Physikprofessor an der Universität von Berkeley. Als sich die USA im Zweiten Weltkrieg befinden, wird er zu einem Projekt hinzugezogen, dass die Welt für immer verändern sollte. Eine Entscheidung, die er womöglich für immer bereuen könnte…

    „I am become death, the destroyer of worlds.“ Dieses Zitat von Oppenheimer hat vermutlich jeder schon einmal gehört. Das wars dann aber schon mit den Infos, die ich über den Protagonisten hatte. Ein Umstand, der das Erlebnis unendlich besser gemacht hat. Denn Nolan inszeniert hier einen hochspannenden Polit-Thriller mit Spionage-Thematik und das wie gewohnt in mehreren Zeitebenen. In zwei davon stehen Anhörungen im Fokus. Einmal muss sich Oppenheimer selbst vor einer Kommission für seine Kontakte zu Kommunisten verantworten, einmal ist es Atombehördenvorsitzender Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), der für eine Stelle in der Regierung kandidiert und der zu seiner Vergangenheit mit Oppenheimer verhört wird. Bei beiden war mir der Ausgang nicht bekannt, es ist ständig nur die Rede von „dem Vorfall“ und „der Geschichte“. Die Spannung wird dadurch also bis zum Schluss aufrecht gehalten, trotz drei Stunden Laufzeit.

    Master of Suspense Alfred Hitchcock erklärte einmal in einen sehr berühmten Interview das Prinzip vom Spannungsaufbau damit, dass der Zuschauer von einer Bombe weiß, die bald explodiert. Welche könnte da also besser geeignet sein, als die erste Atombombe. Er nannte dabei nur eine Regel: die Bombe muss hochgehen! Und das tut sie hier definitiv.

    Was die Spannung nämlich erst ins Unermessliche treibt, ist die Geschichte vom diesem Trinity Test, und das obwohl ich hier den ultimativen Ausgang kannte. Die Arbeiten daran mit allen Erfolgen und Rückschlägen bis hin zum großen Moment bildet das Herzstück des Films. Und das verleiht dem Ganzen eine sehr einzigartige bittersüße Tonalität, weil man sich ständig dabei erwischt, wie man mit den Wissenschaftlern mitfiebert, sich dann aber schnell wieder bewusst wird, was hier eigentlich letztlich geschieht, und woran uns Nolan immer wieder erinnert. Anlässlich der aktuellen angespannten Kriegssituation extra brisant.

    Sound spielt ebenfalls eine tragende Rolle im Film. Anfangs werden leise Sequenzen, die eigentlich nur die jungen Jahre Oppenheimers während seinen Studien erzählen, immer wieder von dröhnenden und visuell betörenden wie auch verstörenden Bildern unterbrochen. Ein Indiz dafür, wie laut es in seinem Kopf zu sein scheint. Je mehr er dann in seiner Arbeit versinken kann, desto leiser werden diese. Ich hab das Ganze nicht in IMAX erlebt, kann mir aber vorstellen, dass diese Sequenzen für den ein oder anderen mit zu prallem Sound sehr erdrückend wirken können. Im richtigen Moment den Sound dann ruhen zu lassen und die Stille für sich sprechen zu lassen, das ist jedoch erst wirklich meisterhaft. Die erste Atomexplosion der Geschichte darf auch erstmal ohne Geräusch auskommen und generiert dadurch ein wunderschönes wie furchteinflößendes Bild. Als 30-jähriger Mann, der immer noch vor der schieren Gewalt eines Sommergewitters erzittert, erschütterte es mich dann erst recht, als der Knall doch folgte. Ein sehr gelungener Score von Ludwig Göransson untermalt dazu jede noch so kleine Szene in Perfektion, egal ob laut oder leise.

    Schauspielerisch jagt eine Paraderolle die nächste, allen voran natürlich Cilian Murphy als Titelfigur, der ein komplexes Bild dieser historischen Persönlichkeit zeichnet. Erst als visionäres Genie mit beängstigenden Zügen, über den als vermeintlichen Kommunist in Ungnade Gefallenen, bis hin zum von Schuldgefühlen Geplagten. Generell hat Nolan hier nicht nur auf dem Papier eines der beeindruckendsten Ensembles seit langem vereint. Von Kenneth Branagh als Niels Bohr, über Matt Damon als General oder Downey Jr. als Strauss, bis in die kleinsten Nebenrollen, Talent so weit das Auge reicht; von manchen wusste ich vorher nicht einmal. Casey Affleck und ein sehr bekannter Nolan-Alumni als Präsident Truman (der sich erneut in einer Rolle wiederfindet, wo er nicht auf Anhieb erkennbar ist.) blieben mir besonders in Erinnerung. Emily Blunt und Florence Pugh bekommen leider nicht besonders viel zu tun, holen aber alles aus ihren Rollen raus. Besonders Blunt als Kitty Oppenheimer wird sehr plötzlich eingeführt und verkommt dann eher zu einer Randfigur. Dass Nolan sie aber nicht nur irgendwelchen politischen Trends zuliebe wichtiger gemacht hat, als sie eigentlich war verdient wiederum Respekt.

    Der Film basiert ja auf der Biografie „American Prometheus“. Ähnlich wie jenes griechische Vorbild, gab Oppenheimer den Menschen eine unbändige Kraft und musste fortan mit der Schuld und den Konsequenzen leben. Und wir müssen es seither auch. Vielleicht kann der Film uns alle wieder daran erinnern, was auf dem Spiel steht.
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    (Markus Toth)
    19.07.2023
    22:32 Uhr