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    Wenn das Playback verstummt

    Exklusiv für Uncut
    Das Musikgeschäft ist bekanntermaßen ein hartes Pflaster. An einem Tag liegt dir die Welt zu Füßen, am nächsten wirst du zur Lachnummer auserkoren. Diese Gnadenlosigkeit haben zwei junge Tänzer in den frühen Neunzigerjahren auf besonders drastische Weise erfahren. Als Gesichter der R&B-Truppe „Milli Vanilli“ waren die Europäer Rob Pilatus und Fab Morvan Ende der 1980er am Pop-Olymp angekommen. Und das binnen kürzester Zeit. Millionen von verkauften Platten, Chart-Stürmer in über 20 Ländern, ein Grammy-Award für den „Besten Newcomer“: es war ein kometenhafter Aufstieg wie aus dem Märchenbuch. Wo aber Erfolg, da oft auch ein Preis. Rob und Fab mussten eine Lüge mit sich herumtragen, die ihnen noch zum Verhängnis werden sollte: die beiden hatten keinen einzigen ihrer Songs selbst eingesungen. Auf der Bühne wurden nur die Lippen bewegt - mehr oder weniger perfekt abgestimmt auf das Playback. Als der Schwindel im November 1990, dem Höhepunkt des „Millli Vanilli“-Hypes, aufflog, wurden Rob und Fab zu Sündenböcken erklärt. Fans fühlten sich verraten, der Grammy musste zurückgegeben werden, das Duo wurde zum Ziel einer medialen Hetzkampagne ohne Rücksicht auf Verluste. Die Flucht in den Drogensumpf half Robert Pilatus, als adoptiertes Heimkind in Bayern aufgewachsen, nur bedingt dabei, all die Häme zu verarbeiten. Am 3. April 1998 wurde der Tänzer leblos in einem Hotelzimmer aufgefunden - er war erst 33 Jahre alt. Nur einem blieb der Spott erspart: Erfolgsproduzent Frank Farian. Rückwirkend betrachtet ist das absurd, war der deutsche Hitmacher (u.a. auch verantwortlich für die Musik von Boney M.) ja der Drahtzieher hinter der Playback-Show. Er war es, der Rob und Fab verbot, ihre echte Stimme zu verwenden. Und er war es auch, der als einziger ungeschoren aus der Situation davonkam. Immerhin hat er doch selbst die Lüge im Rahmen einer Pressekonferenz der Welt offengelegt - die Haupttäterschaft sei damit verziehen. Oder? So oder so ähnlich dürfte wohl der Gedankengang vieler ausgesehen haben, die sich ihren unbändigen Hass zwei jungen, schwarzen Künstlern gegenüber schönredeten. Regisseur Simon Verhoeven lässt den Skandal, der bis heute angeblich größte der Musikgeschichte, nun filmisch wieder aufleben. In „Girl You Know It's True“, benannt nach dem gleichnamigen Hitsong des Duos, werden Aufstieg und Fall der Band massentauglich nacherzählt. Aus unterschiedlichen Sichtweisen. Am wichtigsten aber: den primär Leidtragenden der Aktion wird die Würde zurückgegeben.

    Formelhaft, aber nie langweilig

    Die Geschichte von Milli Vanilli ist filmreif, keine Frage, aber gerade deshalb hätte hier so einiges schiefgehen können. Zumal Biopics über Musiker in den vergangenen Jahren in Ungnade gefallen sind. Zu reißerisch aufgemacht, zu stationenhaft erzählt, zu weitgegriffen und unpersönlich in der Dramaturgie - so lauten einige der herkömmlichen Kritikpunkte. Dass diese mit Abstrichen auch auf „Girl You Know It's True“ zutreffen, lässt sich nicht verleugnen. Die gewohnte Checkliste der Musikerbiografien wird weitgehend abgehakt: ein Blick in die dramatische Kindheit hier, übertriebene Exzesse gemäß dem Klischee „Sex, Drugs and Rock'n'Roll“ da. Je mehr der Film sich aber dem Bruchpunkt der Band annähert, desto weniger fällt ihm seine recht traditionelle Struktur zur Last. Nicht zuletzt hilft der abwechslungsreiche Perspektivenwechsel, für den immer wieder unterhaltsam die vierte Wand durchbrochen wird. Mal erklären Rob und Fab ihre Sicht der Dinge, mal Frank Farian, mal dessen Geliebte und Bandnamensgeberin Ingrid „Milli“ Segieth.

    Die Menschen hinter dem Skandal

    Frank Farian verkommt in Verhoevens Nacherzählung zur Nebenfigur, zur cholerischen Karikatur eines Plattenproduzenten, der vom Talent schwarzer Künstler profitiert, ihnen aber lediglich kleine Krümel des Erfolgs übrig lässt. Kulturelle Aneignung der übelsten Sorte. Verkörpert wird Farian von Ex-Teenieschwarm Matthias Schweighöfer, der sich in der Rolle von einer herrlich verschrobenen Seite zeigen darf - samt der markanten, blonden Kräuselmähne (laut Angaben des Schauspielers Echthaar und keine Perücke). Bekritteln ließe sich dagegen, dass Verhoeven den Producer in den finalen Minuten eventuell etwas zu gut davonkommen lässt. Die Schattenseiten werden nicht ausgespart, doch wirkt es, als hätte man ein potentiell zu unschmeichelhaftes Bild verhindern wollen. Der heute 82-jährige Liedermacher musste dem Biopic (und der Verwendung seiner Musik) ja überhaupt erst die Genehmigung erteilen. Letztendlich ist es aber ohnehin nicht Farians Film, sondern ganz klar der von Robert Pilatus und Fabrice Morvan. Die echten Menschen hinter der Retortenband. Dass das Drehbuch bei all den auftretenden Namen stets die Nähe zu zwei Männern sucht, die medial als seelenlose Industriemarionetten herabgewürdigt wurden, ist diesem hoch anzurechnen. Intim wird die Entstehung einer innigen Freundschaft nachgezeichnet, über all die Höhen und Tiefen hinweg. Zwei Brüder im Geiste, die einen verlockenden „Pakt mit dem Teufel“ (wie es Rob später in einer Pressekonferenz bezeichnete) eingingen, um die süßen Früchte des Erfolgs zu kosten. Die Newcomer Tijan Njie und Elan Ben Ali beeindrucken mit emotional aufgeladenen Darbietungen, die sich - im Gegensatz zum Massenprodukt „Milli Vanilli“ - zu keiner Sekunde unecht anfühlen. In der ersten Hälfte mag die Unterhaltung im Vordergrund liegen, das scheint klar. Wenn sich aber die unvermeidbare Tragödie anbahnt, weiß der Film ohne wenn und aber auf welche Seite er sich zu stellen hat. Und diese humane Herangehensweise mündet schließlich in eine zutiefst bewegende, ja würdevolle Schlusseinstellung.

    „Girl You Know It's True“ sucht nach Gerechtigkeit und Authentizität innerhalb einer Industrie, die künstlich Stars produziert, diese aber bei Möglichkeit wieder fallen lässt - ganz ohne Sicherheitsnetz. Ein wahrhaftiger Film über ein verlogenes Geschäft.
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    (Christian Pogatetz)
    28.12.2023
    12:38 Uhr