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    Im Namen des Vaters…

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    2020 adaptierte der französische Theatermacher und Schriftsteller Florian Zeller sein eigenes Stück „Le Pére“ für die große Leinwand. Als „The Father“ wurde das erschütternde Bühnenwerk mit prominenter Besetzung für den internationalen Markt verfilmt – und das zumindest basierend auf einiger Publikums- und Pressestimmen sehr erfolgreich. Anthony Hopkins erhielt für seine umwerfende Darbietung des demenzerkrankten Protagonisten einen Oscar als „Bester Hauptdarsteller“ und war mit 83 Jahren der bislang älteste Preisträger der Kategorie. „The Father“ folgt Zeller nun logischerweise mit „The Son“, der ebenfalls auf einem eigens verfassten Theaterstück basiert. Genau genommen war „Le Fils“ ursprünglich der abschließende Teil einer (lediglich thematisch verwobenen) Trilogie, die mit dem bislang unverfilmten „La mére“ (auf Deutsch: „Die Mutter“) begonnen hatte. Während der Vorgängerfilm (und die dazugehörige Vorlage) noch den schmerzhaften Prozess der Altersdemenz anhand einer Vater-Tochter-Beziehung veranschaulichte, widmet sich Zeller nun erneut einem Thema, mit dem höchstwahrscheinlich bereits die meisten Familien in irgendeiner Form konfrontiert wurden: Depression. Präzise gesagt Depression im Jugendalter.

    Der 17-jährige Nicholas (Zen McGrath) verhält sich seit geraumer Zeit ganz ungewöhnlich – für seine Eltern ein Grund zu Besorgnis. Peter (Hugh Jackman) und Kate (Laura Dern) sind bereits eine Weile geschieden, pflegen aber weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis. Doch dann meldet sich die Ex-Frau des New Yorker Anwalts mit unerwarteten Neuigkeiten: ihr gemeinsamer Sohn möchte nicht mehr bei seiner Mutter leben und stattdessen wieder zu seinem Vater zurückziehen. Papa Peter lebt mittlerweile mit seiner Lebensgefährtin Beth (Vanessa Kirby) zusammen, mit der er vor kurzem sein zweites Kind in die Welt setzte. Dem zielstrebigen Peter ist es ein großes Anliegen die Fehler seines eigenen Vaters (Anthony Hopkins: kurzer, aber imposanter Auftritt) nicht zu wiederholen und seinem Sohn das zu geben, was er selbst kaum erleben durfte: väterliche Zuneigung. Der psychisch labile Zustand von Nicholas, der auf eine schwere Depression hindeutet, gestaltet dieses Unterfangen aber nicht leicht. Nicholas‘ unkontrollierbares Verhalten stellt Peter und Beth vor eine der wohl schwersten Fragen, die sich Eltern vorstellen können: Wie befreie mich mein eigenes Kind von seinen seelischen Qualen?

    Wie es bereits bei „The Father“ der Fall war, beeindruckt auch „The Son“ wieder in erster Instanz als Schauspielkino. „X-Men“-Dauergast Hugh Jackman liefert als Familienvater, der in eine schier ausweglose Situation gezerrt wird und an dieser zu zerbrechen droht, eine der überzeugendsten Darbietungen seiner Karriere. Laura Dern mimt dessen Ex-Gattin Kate angenehm zurückhaltend – Vanessa Kirby haucht als neue Partnerin Beth, die sich plötzlich mit den verstörenden Verhaltensweisen von Nicholas konfrontiert sieht, der wohl komplexesten Figur im Film glaubhaft Leben ein. Newcomer Zen McGrath verblasst zugegebenermaßen neben seinen etablierten Schauspielkolleg*innen ein wenig – ein Umstand, der aber wahrscheinlich dem Drehbuch zu verschulden ist. Denn leider entpuppt sich „The Son“ abseits der ehrwürdigen Darstellerleistungen als herbe Enttäuschung. Spürbar bemüht möchte man sich an den großen Emotionen aufhängen, driftet dann aber letzten Endes in kaum ertragbaren Betroffenheitskitsch ab. Die Theatervorlage lässt sich augenscheinlich nicht in derselben Form auf die Leinwand übertragen, rohes menschliches Drama sucht man hier vergebens. Etwas, das anhand der zu dominierenden musikalischen Begleitung von Hans Zimmer noch spürbarer wird. Zugutehalten kann man dem Film definitiv seine Ambitionen, ein tabuisiertes Thema wie mentale Gesundheit im Jugendalter in den Vordergrund zu rücken. Das geht aber definitiv auch weniger platt und konstruiert.
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    (Christian Pogatetz)
    01.10.2022
    18:42 Uhr