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    Liebe allein reicht nicht

    Vor zwei Jahren beeindruckte Sir Anthony Hopkins ungefähr so wie Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva In Michael Hanekes Liebe: als alter Mann, der zusehends unter Demenz leidet und dessen Leben immer mehr und mehr an Bodenhaftung verliert. Unbekannte Leute gehen in seiner Wohnung ein und aus, und plötzlich ist die eigene Tochter eine völlig fremde Person. Das gemütliche Wohnzimmer wird plötzlich zur Einrichtung in einem Pflegeheim, und der Vater muss sich am Ende fragen: Wer bin ich eigentlich? So erschütternd wie Felix Mitterers Sibirien, und so sehr jenseits gängiger Sehgewohnheiten konzipiert, dass man meinen könnte, einem Psychothriller beizuwohnen, so spannend gelingen hier einzelne Szenen, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Ein Drama aus der Sicht eines Demenzkranken inszenieren – das ist großes, bewegendes und auch verstörendes Kino. Dieses Jahr legt Florian Zeller ein weiteres seiner Theaterstücke nach, um es auf die Leinwand zu bringen: Vom Father geht es nun zum Sohn – wobei beide Geschichten nichts miteinander zu tun haben, obwohl Anthony Hopkins auch hier einen Patriarchen gibt, der aber völlig anders veranlagt ist als jene Figur aus 2021.

    In The Son steht nicht nur Newcomer Zen McGrath im Mittelpunkt, als eben jener Filius, den Timothée Chalamet auch hätte spielen können, dessen Gesicht aber mittlerweile schon viel zu bekannt geworden ist, um einen so erfrischend unbeeinflussten Charakter zu interpretieren, wie McGrath es eben tut. Neben seiner Performance agiert Hugh Jackman als dessen Vater und erfolgreicher Anwalt, der schon bald die Karriereleiter noch höher hinaufsteigen könnte, wenn er nur wollen würde. Peter Miller, so nennt er sich, hat sich von seiner alten Familie getrennt und ein neues Leben angefangen. Mit neuer junger Frau (Vanessa Kirby grandios zurückhaltend) und frischem Nachwuchs im Windelalter. Alles wäre so perfekt, wie ein Leben nur sein kann – gäbe es da nicht auch noch den mittlerweile siebzehn Jahre alten Sohn aus erster Ehe, Nicholas. Natürlich, um diesen jungen Mann muss sich Papa natürlich auch kümmern, und so sucht Ex-Frau Kate (Laura Dern) Hilfe beim Vater ihres Sohnes, denn dieser scheint bereits über Monate hinweg die Schule zu schwänzen. Irgendetwas liegt da im Argen, und Peter soll sich der Sache annehmen. Das tut er auch, denn dieser will schließlich nicht so kaltherzig seine Karriere über alles andere stellen wie seinerzeit sein eigener Vater (Anthony Hopkins als egozentrischer Machtmensch). Kann sein, dass so eine dichte Agenda aus Arbeit und Privatem einen weltgewandten Menschen wie Peter nicht so schnell aus der Bahn werfen kann, doch dann will Nicholas bei Papa einziehen, um seinen Weltschmerz in den Griff zu bekommen. Was ist das für eine abstrakte Umschreibung, was treibt den jungen Mann bloß zu so düsteren Gedanken, die kurz davor sind, in suizidale Impulse überzugehen? Ganz klar: Nicholas leidet unter akuter Depression – einer Krankheit, die so abstrakt ist und sich so schwer fassen lässt, dass niemand sie so recht verstehen kann, wo keiner weiterweiß und wo die eigenen Eltern fest davon überzeugt sind, allein mit ihrer Liebe dem psychischen Schreckgespenst Herr werden zu können.

    Wie bereits beschrieben, findet Florian Zeller jede Menge bekannte Gesichter für sein wahrlich intensives Drama, das sich nicht nur mit den psychologischen Folgen beschäftigt, wie sich der Zusammenbruch einer Familie vor allem auf junge Menschen ausprägt. Zeller geht einen Schritt weiter und betritt die unberechenbaren Symptompfade einer juvenilen Depression, mit der niemand, der nicht vom Fach ist, wirklich Herr werden kann. Jackman als aufrechter Vater, der tatsächlich alles richtig machen will, sieht sich selbst beim Scheitern zu – genauso wie Mutter Laura Dern, die das Befinden ihres Sohnes maßlos unterschätzt. Liebe allein reicht nicht – das sagt auch Nicholas‘ betreuender Arzt. Doch welche Eltern können da schon rational bleiben, wenn der Sohn so sehr um die intakte Dreisamkeit seiner Familie fleht.

    The Son ist da natürlich viel weniger experimentell als The Father. Hier erzählt Zeller, unter Mitarbeit von Christopher Hampton, sehr stringent und nur mit wenigen Rückblenden aus Nicholas‘ jüngeren Jahren, von der Chronik eines Entgleitens und dem Ende elterlicher Kompetenzen. Eine weniger klassische Erzählweise würde vielleicht die schauspielerische Stärke des Ensembles ausbremsen, so aber baut die psychologische Entwicklung aller Beteiligten auf einer sich steigernden Storyline auf, die immer schwerer, verzweifelter und verheerender wird, bis der unvermeidliche Schlag in die Magengrube folgt. Wohin sich The Son zuspitzt, ist nichts für schwache elterliche Nerven, und ja, die unweigerliche und auch befürchtete Katastrophe lähmt sein Publikum. Die Schockstarre hält nach, und immer wieder hat man vor Augen, wie leicht alles hätte anders kommen können. Die Parameter für die Katastrophe legt Zeller aber viel zu offen aus, und es kann auch sein, dass alles viel zu unweigerlich in den Abgrund führt, weil Eltern vielleicht nur mit dem Herzen denken, und nicht mit dem Verstand. Selbst würde man natürlich alles anders machen. Und auch die nötigen Vorkehrungen treffen. Dieses Bewusstsein enthält Zeller seinen Film-Eltern leider vor, und daher mag es am Ende an plausiblem Verhalten doch etwas hapern. Der Wucht des Dramas nimmt dies aber nicht die bleierne Schwere, und die Faust des Schicksals haut dennoch zu. Als würde es einen selbst treffen.


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    05.02.2023
    18:12 Uhr
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    Im Namen des Vaters…

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    2020 adaptierte der französische Theatermacher und Schriftsteller Florian Zeller sein eigenes Stück „Le Pére“ für die große Leinwand. Als „The Father“ wurde das erschütternde Bühnenwerk mit prominenter Besetzung für den internationalen Markt verfilmt – und das zumindest basierend auf einiger Publikums- und Pressestimmen sehr erfolgreich. Anthony Hopkins erhielt für seine umwerfende Darbietung des demenzerkrankten Protagonisten einen Oscar als „Bester Hauptdarsteller“ und war mit 83 Jahren der bislang älteste Preisträger der Kategorie. „The Father“ folgt Zeller nun logischerweise mit „The Son“, der ebenfalls auf einem eigens verfassten Theaterstück basiert. Genau genommen war „Le Fils“ ursprünglich der abschließende Teil einer (lediglich thematisch verwobenen) Trilogie, die mit dem bislang unverfilmten „La mére“ (auf Deutsch: „Die Mutter“) begonnen hatte. Während der Vorgängerfilm (und die dazugehörige Vorlage) noch den schmerzhaften Prozess der Altersdemenz anhand einer Vater-Tochter-Beziehung veranschaulichte, widmet sich Zeller nun erneut einem Thema, mit dem höchstwahrscheinlich bereits die meisten Familien in irgendeiner Form konfrontiert wurden: Depression. Präzise gesagt Depression im Jugendalter.

    Der 17-jährige Nicholas (Zen McGrath) verhält sich seit geraumer Zeit ganz ungewöhnlich – für seine Eltern ein Grund zu Besorgnis. Peter (Hugh Jackman) und Kate (Laura Dern) sind bereits eine Weile geschieden, pflegen aber weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis. Doch dann meldet sich die Ex-Frau des New Yorker Anwalts mit unerwarteten Neuigkeiten: ihr gemeinsamer Sohn möchte nicht mehr bei seiner Mutter leben und stattdessen wieder zu seinem Vater zurückziehen. Papa Peter lebt mittlerweile mit seiner Lebensgefährtin Beth (Vanessa Kirby) zusammen, mit der er vor kurzem sein zweites Kind in die Welt setzte. Dem zielstrebigen Peter ist es ein großes Anliegen die Fehler seines eigenen Vaters (Anthony Hopkins: kurzer, aber imposanter Auftritt) nicht zu wiederholen und seinem Sohn das zu geben, was er selbst kaum erleben durfte: väterliche Zuneigung. Der psychisch labile Zustand von Nicholas, der auf eine schwere Depression hindeutet, gestaltet dieses Unterfangen aber nicht leicht. Nicholas‘ unkontrollierbares Verhalten stellt Peter und Beth vor eine der wohl schwersten Fragen, die sich Eltern vorstellen können: Wie befreie mich mein eigenes Kind von seinen seelischen Qualen?

    Wie es bereits bei „The Father“ der Fall war, beeindruckt auch „The Son“ wieder in erster Instanz als Schauspielkino. „X-Men“-Dauergast Hugh Jackman liefert als Familienvater, der in eine schier ausweglose Situation gezerrt wird und an dieser zu zerbrechen droht, eine der überzeugendsten Darbietungen seiner Karriere. Laura Dern mimt dessen Ex-Gattin Kate angenehm zurückhaltend – Vanessa Kirby haucht als neue Partnerin Beth, die sich plötzlich mit den verstörenden Verhaltensweisen von Nicholas konfrontiert sieht, der wohl komplexesten Figur im Film glaubhaft Leben ein. Newcomer Zen McGrath verblasst zugegebenermaßen neben seinen etablierten Schauspielkolleg*innen ein wenig – ein Umstand, der aber wahrscheinlich dem Drehbuch zu verschulden ist. Denn leider entpuppt sich „The Son“ abseits der ehrwürdigen Darstellerleistungen als herbe Enttäuschung. Spürbar bemüht möchte man sich an den großen Emotionen aufhängen, driftet dann aber letzten Endes in kaum ertragbaren Betroffenheitskitsch ab. Die Theatervorlage lässt sich augenscheinlich nicht in derselben Form auf die Leinwand übertragen, rohes menschliches Drama sucht man hier vergebens. Etwas, das anhand der zu dominierenden musikalischen Begleitung von Hans Zimmer noch spürbarer wird. Zugutehalten kann man dem Film definitiv seine Ambitionen, ein tabuisiertes Thema wie mentale Gesundheit im Jugendalter in den Vordergrund zu rücken. Das geht aber definitiv auch weniger platt und konstruiert.
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    01.10.2022
    18:42 Uhr