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  • Bewertung

    Wenn realer und Alltagswahnsinn ineinanderfließen

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2019
    Marie Kreutzer ist mit einem neuen Drama zurück und konkurriert in Berlin um den Goldenen Bären. In „Der Boden unter den Füßen“ setzt sie sich mit dem fließenden Übergang zwischen Paranoia, psychischer Störung und gesellschaftlicher und beruflicher Ohnmacht auseinander. Das Wechselspiel zweier Schwestern, eine voll auf Karriere aber nahe dem Kollaps, die andere aufgrund einer schizophrenen Erkrankung bereits in die Spitäler Wiens verfrachtet, wirkt zwar von den Figuren durchaus realistisch, kann aber mit seinem Handlungsbogen weniger überzeugen.

    Stets auf der beruflichen Überholspur ist Unternehmensberaterin Lolas (Valerie Pachner) Tag streng durchgeplant. Morgens zum Joggen, den restlichen Tag beruflich unterwegs. Die Wohnung am Wiener Naschmarkt dient nur als Durchziehort und zum Schlafen. Das einzige, was die junge Endzwanzigerin beim Erklettern der Karriereleiter gelegentlich unterbricht ist ihre Schwester Conny (Pia Hierzegger). Die schizophren-paranoide Frau ist Lolas großes Geheimnis und eigentlich so weit ganz pflegeleicht. Aber dann versucht Conny sich plötzlich umzubringen und wird ins Spital eingeliefert. Lola, die sich für die große Schwester verantwortlich fühlt, jettetet von ihrem Auslandseinsatz in Rostock immer wieder nach Wien um sich um sie zu kümmern.

    Doch so stabil wie Lola auch zunächst scheinen mag, ist sie nach näherer Betrachtung auch nicht. Erst scheint sie Telefonate mit Conny zu halluzinieren. Dann bricht der Konkurrenzkampf mit ihren Kollegen über sie herein. Der Auftraggeber belästigt sie beim Dinner und die Liebesaffäre mit ihrer Chefin Elise (Mavie Hörbiger) ist von Misstrauen über ihre Aufstiegschancen gezeichnet. Die Frage, ob Lola noch oder schon in ihre eigene Version von Wahn und Verfolgung verfällt, steht somit den ganzen Film über im Raum.

    Kreutzer ist ein ambitionierter, gut recherchierter Film gelungen. Die Umfelder in der Psychiatrie als auch im Arbeitsbüro wirken realistisch, die Figuren wie Abziehblätter jener Menschen, die man wahrscheinlich aus dem eigenen Alltag kennt. Was Kreutzer jedoch nicht gelingt, ist diese Ambivalenz ihres Themas konsequent umzusetzen. Wo verwischen die Grenzen, und ist Lola vielleicht selber ein bisschen verrückt? Diese Frage dominiert lange den Film und führt den Zuschauer auf die falsche Fährte, dass es sich hier um einen Thriller mit Twist handelt.

    Doch die Frage, ob Lola wirklich Anrufe erhält, wird bald schon nicht mehr beachtet, da Kreutzer sich wieder dem nächsten Teilaspekt ihrer Checkliste „Wahnsinn und Stress“ widmet. Dadurch wird der Film unrund, lässt sich schwer definieren und mit wenig handfesten Sinn versehen. Ein wenig mehr Struktur hätte hier viel geholfen. Und das vor allem in der Hinsicht, dass er bereits in der Produktion Probleme mit der Handlung gehabt hatte, wie Kreutzer bei der Pressekonferenz zugab. Eine vergebene Chance, aber ein akzeptabler österreichischer Beitrag im Wettbewerb.
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    (Susanne Gottlieb)
    10.02.2019
    00:53 Uhr
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