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    Ein Taxi als Katalysator eines Stimmungsbildes

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2015
    Wer in ein Taxi einsteigt, der hat es eilig. Man benutzt es, um mal schnell von A nach B zu kommen, kann man nicht selbst fahren oder um nicht selbst fahren zu müssen und um sich den Luxus des Gefahren-Werdens zu gönnen, jeden Tag tut man es ja meistens doch nicht. Anders als beim Frisör ist es nur selten ein Ort der Mitteilsamkeit, die über die Anweisungen zur Fahrtroute hinausgeht, ein paar höfliche Worte, die Frage nach dem Preis, Zahlen und Tschüss. Meistens gleicht es dem Griff zum Handy in der Tasche, um im sozialen Netzwerk mit Menschen Kontakt zu halten, zu denen der persönliche Kontakt verloren gegangen ist und die man trotzdem für wichtig hält und umgekehrt.

    Die Menschen, die Jafar Panahi in seinem Taxi durch Teheran fährt, haben alle eine Geschichte zu erzählen, die ein Stück des Alltagslebens im Iran abbildet. Sie ist eine Geschichte einer Freiheit innerhalb sehr eng begrenzter Limits, die sich immer wieder an ebendiesen stößt und reibt. Der verwundete Mann, der auf dem Weg ins Krankenhaus ein Testament aufnehmen will, weil nach dem Gesetz eher seine Brüder das Haus erben als seine Frau. Die beiden Schwestern, die fest daran glauben, an ihrem Geburtstag zur genau gleichen Zeit Fische in eine heilige Quelle bringen zu müssen, weil sie sonst sterben. Die junge Nichte, die das anspruchsvolle Frau-Sein im Iran mit einer langen Liste von Forderungen, die Männer für sie erfüllen müssen, um ihre Gunst zu erhalten, bereits im Alter von 10 Jahren voll drauf hat. Und immer wieder: die Begegnung mit der Zensur, mit den Vorschriften, die Filmemachern im Iran gemacht werden, die Erinnerung an Verhöre durch die staatlichen Behörden, an die Beamten, die ihr Gesicht verhüllen und deren Stimme alle verfolgt, die einmal von ihnen befragt worden sind. Und zugleich die Allgegenwärtigkeit der Leidenschaft für den Film als Kunstform.

    „Taxi“ zeichnet unter seiner immer wieder auch sehr humorvollen Kruste ein sehr kritisches Bild der iranischen Gesellschaft, in der es trotz oder vielleicht sogar gerade wegen aller strengen Vorschriften Schattenwirtschaft und einen blühenden Schwarzmarkt für Filme und vieles mehr gibt. Zwischen all diesen dunklen Wirklichkeiten, denen offiziell die Wirklichkeit abgesprochen wird, die nicht sein dürfen, weil sie unbequem sind, lässt er uns der Pflanze der unbeirrbaren Hoffnung und begeisterter Kreativität beim Erblühen zusehen und gemeinsam mit ihm hoffen, dass es für sie doch noch einen Sommer und eine Zeit der Reife geben wird, eines Tages, irgendwann, irgendwo auf der Welt.
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    06.02.2015
    22:27 Uhr