Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
„Shadowless tower“ sind Türme, die so hoch sind, dass man ihren Schatten nicht erkennen kann, wenn man nah davorsteht, erst in großer Entfernung werden sie sichtbar. Das wird jedenfalls in Lu Zhangs „Bai Tag Zhi Guang“ in etwa so erklärt. Wer den Wahrheitsgehalt dieser Theorie überprüfen möchte, ist herzlich dazu eingeladen. Solche Türme sind jedenfalls Inspiration für den internationalen Titel des Films des routinierten chinesischen Regisseurs. Die Schatten in „The Shadowless Tower“ führen allerdings konkret in die Vergangenheit.
Protagonist Gu Wentong ist geschieden und Vater einer Tochter, die bei seiner Schwester und deren Mann lebt. Als er für seine Restaurantkritiken die junge Ouyang Wenhui als Fotografin hinzuzieht, schafft es diese, ihn mit ihrer direkten Art etwas aus der Reserve zu locken. Doch nicht nur die geheimnisvolle Dame an seiner Seite gibt ihm Rätsel auf, sondern auch ein Strauß mit frischen Blumen am Grab seiner Mutter und ein Zettel mit einer Telefonnummer, den ihm sein Schwager heimlich zusteckt. Eine Spur in die Vergangenheit und zu einer wichtigen Person. Gu begibt sich auf die Suche nach seinem Vater und möchte herausfinden, was damals passiert ist, ob dieser die Familie in Schande verlassen hat.
Das dunkle Familiengeheimnis ist kein sonderlich origineller Baustein. Protagonist Gu ist allerdings ein interessanter Typ, was der Geschichte wenigstens etwas Charakter verleiht. Er ist immer höflich, sogar zu höflich für Sex mit seiner Frau, was die Ehe zum Scheitern gebracht hat, wie er selbst sagt. Dieses Merkmal, das ihn dazu verdammen scheint, allein zu bleiben, wird immer wieder aufgegriffen und sorgt nicht nur einmal für Schmunzeln. Er kennt meist nur den höflichen Konjunktiv und entschuldigt sich fast im Vorhinein. Oft nimmt er seine ehrlichen, aber zu direkten, fast schon als Flirtsprüche durchgehenden Aussagen mit einem „Das habe ich nicht so gemeint“ zurück. Es entstehen großartige Dialoge; (auch, wenn man sie in den Untertiteln lesen muss). Die Initiative ergreift er nur, wenn er etwas für andere tut. Er tröstet etwa seinen Model-Untermieter und ist kulant, was Zahlungen betrifft.
Da kommt die quirlige Ouyang genau zur rechten Zeit. Sie macht Gu mutiger. Er wählt die Nummer seines Vaters vom öffentlichen Telefon, erst einmal nur, um dessen Stimme zu hören. Für mehr dauert es noch länger. Was nicht unerwartet ist bei einer Laufzeit von etwa 144 Minuten. Ganz langsam wagt Gu die nächsten Schritte, um seinen Vater wieder zurückzubekommen. Einen Vater, den er respektiert, zu dem er aufschauen kann, und nicht einen Vater, der durch ein Verbrechen Schande über die Familie gebracht hat.
Da Ouyang in der gleichen Stadt geboren wurde, in der Gus Vater jetzt lebt, kreuzen sich die Wege der beiden häufiger als für die Arbeitsbeziehung notwendig. Die gemeinsamen Aktivitäten sind in hoffnungsvollen Bildern eingefangen. Es könnte der Beginn einer zarten Liebesgeschichte zweier so unterschiedlicher Persönlichkeiten sein. Mit kleinen Gesten deutet sich auch die Versöhnung mit dem Vater an, das (Wieder-)Entdecken der eigenen Wurzeln.
Der Einblick in eine fremde Kultur und die Reise an ungewöhnliche Orte, die in beeindruckenden Bildern eingefangen werden, erweisen sich als Pluspunkte von „The Shadowless Tower“. Viele kleine Momente vermögen ebenso zu überzeugen. Allerdings bietet der Film wenig Spannung, man braucht viel Geduld. Die 144 Minuten Laufzeit sind etwas übertrieben, nicht unbedingt notwendig, um die Geschichte über Familie, Identität und Wahrheit zu erzählen. Ein paar Straffungen oder wenigstens mehr Konflikte innerhalb der Story hätten dem Film wohl gutgetan.
„The Shadowless Tower“ ist hauptsächlich Drama, auch wenn Geheimnisse herausgefunden werden müssen und ein paar Szenen zumindest für Schmunzeln sorgen. Auch die Bilder überzeugen. Für Fans von nervenaufreibender Hochspannung ist Zhangs Film aufgrund des langsamen Erzählstils aber definitiv nicht geeignet.
