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    Star-Geständnisse am Kneipentisch

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2021
    Knapp zwei Jahrzehnte ist es her, da galt Daniel Brühl für seine Rollen in Filmen wie „Schule“ (2000) oder „Das weiße Rauschen“ (2001) gerade noch als vielversprechender Aufsteiger der deutschen Independent-Szene. Diese Tage sind aber längst vorüber, denn mittlerweile eilt dem deutsch-spanischen Schauspieler der Ruf eines Weltstars voraus. Seine Performance im von vielen geschätzten DDR-Drama „Goodbye Lenin“ (2003) bekam auch international Aufmerksamkeit und verhalf ihm schlussendlich sogar zu einem essentiellen Part in Quentin Tarantinos Zweiter-Weltkriegs-Groteske „Inglourious Basterds“ (2009). Spätestens seit seiner preisgekrönten Darstellung von Ex-Formel-1-Legende Niki Lauda im Sport-Drama „Rush“ (2013) und seiner Schurken-Rolle des Captain Zemo im Marvel-Blockbuster „Captain America: Civil War“ (2016) ist Brühl ein vertrauter Name in Hollywood. Die letzterwähnte Figur verkörpert der Darsteller aktuell für die Marvel-Serie „The Falcon and the Winter Soldier“ erneut. Umso verwunderlicher ist es, dass Brühl sich für seine erste Arbeit als Filmemacher weit von jeglichen Hollywood-Bombast entfernt hat. Mit dem Kammerspiel „Nebenan“ gibt Brühl ein unerwartet bodenständiges Regiedebüt, das sich fast ausschließlich in einer kleinen Berliner Kneipe abspielt.

    Brühl spielt darin den erfolgreichen Filmschauspieler Daniel, der offensichtlich eine Karikatur seiner selbst darstellen soll. Im Gegensatz zu seinem Pendant aus dem realen Leben, hinterlässt dieser Daniel hier jedoch einen äußerst egozentrischen und selbstverliebten Eindruck. Der Darsteller steht kurz vor dem nächsten großen Meilenstein seiner Karriere. Er soll in London für eine Rolle in einem publikumswirksamen Superhelden-Streifen vorsprechen. Um sich gut auf seine Figur vorzubereiten und nochmal ausgiebig den Text durchzugehen, begibt er sich am Vortag von seinem luxuriösen Apartment in seine Berliner Stammkneipe. Dort angekommen, sucht schon bald der aus der DDR stammende Bruno (Peter Kurth) das Gespräch mit ihm. Anfangs macht der ältere Herr einen lediglich exzentrischen Eindruck, es zeigt sich doch, dass er mehr über Daniel und sein familiäres Leben zu wissen scheint, als dem Filmschauspieler womöglich selbst lieb wäre. Es folgt ein Kammerspiel, das mit zunehmender Laufzeit an Intensität gewinnt.

    Das Drehbuch zum Film stammt aus der Feder von niemand geringerem als dem erfolgreichen deutsch-österreichischen Schriftsteller Daniel Kehlmann ( „Die Vermessung der Welt“). Kehlmanns Roman „Ich und Kaminski“ wurde erst vor wenigen Jahren mit Brühl in der Hauptrolle verfilmt, weshalb die Wahl des Drehbuchautoren kaum verwundern sollte.

    Zu Beginn lebt die schwarzhumorige Tragikomödie noch von den pointierten Beobachtungen innerhalb seines Kneipen-Settings. Der gezeigte Mikrokosmos kommt angemessen schmuddelig daher und wirkt aufgrund der Riege an schrulligen Charakteren, die ihn bewohnen, authentisch und glaubhaft aufbereitet. Auch die Dekonstruktion der eigenen Selbstgefälligkeit beziehungsweise des allgemein scheinheiligen Auftreten zahlreicher Prominente ist zunächst ebenso amüsant mitanzusehen. „Nebenan“ funktioniert tatsächlich dann am besten, wenn er als Komödie agieren darf – egal ob nun im Deckmantel einer realitätsgetreuen Kneipen-Milieustudie oder als treffende Showbiz-Satire.

    Je privatere Züge die Konversation zwischen Daniel und dem anfangs mysteriösen Bruno annimmt, desto ernster wird jedoch der Ton des Films. Was als leichtfüßige Komödie über Arroganz und Selbstbeweihräucherung im Schauspielgeschäft anfängt, wird in der zweiten Hälfte zu deutlich mehr. Dramaturgisch übernimmt sich das spannungstechnisch betrachtet gelungene Drehbuch Kehlmanns gegen Ende ein wenig. Die finale Auflösung des perfiden Verwirrspielchen wirkt nicht ganz schlüssig und etwas zu konstruiert.

    Immerhin erweist sich Brühl im Regiestuhl als durchaus talentiert. Sein Regiedebüt ist stilsicher inszeniert, holt das meiste aus seinem Kneipen-Charme heraus und sorgt nahezu in Echtzeit für klaustrophobische Spannung im begrenzten Setting. Zudem dürfen Brühl und sein Gegenüber Peter Kurth („In den Gängen“) in ihren Wortgefechten zu schauspielerischer Höchstform auflaufen. Rike Eckermann weiß als schrullig-sympathische Wirtin ebenso zu überzeugen.

    Im Großen und Ganzen lässt sich „Nebenan“ trotz eines übereifrigen Finales als gelungenes Regiedebüt für Daniel Brühl bezeichnen. Der heutige Hollywood-Star findet zurück zu seinen tiefdeutschen Wurzeln und kreiert eine tragikomische Mischung aus Charakter-Portrait und Milieustudie, die gleichermaßen unterhaltsam, selbstreflexiv und spannungsreich ist.
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    07.04.2021
    15:03 Uhr