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    Bootsfahrt ins Ungewisse

    “Selbst eingreifen oder den Profis den Job überlassen?”

    Eben diese Gewissensfrage muss sich die junge Ärztin Rike stellen, als vor ihren eigenen Augen ein Boot voller Flüchtlinge zum Kentern beginnt.

    Regisseur Wolfgang Fischer hat mit "Styx" ein beeindruckendes Drama geschaffen, dessen Thematik wohl kaum aktueller sein könnte. Die Verwendung von Handkameras, Perspektivenwechsel und die beklemmende Tongestaltung kreieren ohne viel künstlichen Digitaleffekten ein Gefühl der Unmittelbarkeit und Authentizität, das einem regelrecht an den Ereignissen im Film teilhaben lässt. Sehr sehenswert!
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    23.03.2018
    20:38 Uhr
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    Bravouröses Hochseedrama das unangenehme Fragen stellt

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    Rike ist es gewohnt, Menschenleben zu retten. Aber ihr Job als Notärztin in der Großstadt ist fordernd. Mitte Vierzig entschließt sie sich zur Auszeit und will allein zu ihrem ganz persönlichen Paradies Ascension Island segeln. Dort hat Charles Darwin persönlich dereinst auf kargem Vulkanland ein autarkes bis heute florierendes Ökosystem angelegt. Glücklicherweise sind Jobs wie jener von Rike in der westlichen Welt ausreichend dotiert, dass man sich einen temporären Ausstieg auch in anständiger Form leisten kann: eine fabriksneue kleine Yacht, bis oben hin angefüllt mit Proviant und Profiequipment ... es kann also nix passieren. Tut es aber doch, denn zeitgleich hat sich an irgendeiner afrikanischen Küste ein weiteres Boot auf dem Weg ins vermeintliche Paradies aufgemacht, genau in die entgegengesetzte Richtung. Nach einem heftigen Seesturm (selbst für die Gutausgerüstete kein Klacks) trifft Rike auf eines jener maroden Fischerboote, die Schlepper mit Verzweifelten anfüllen und den Gezeiten ausliefern. Die sofort verständigte Küstenwache geht ihren Behördenweg und vertröstet sie gefühlte Ewigkeiten lang mit dem Hinweis, dass Hilfe am Weg sei und verbietet ihr eigenmächtig einzuschreiten.

    Währenddessen hat Rike die Menschen in Not direkt vor Augen und ist in der Bredouille: sobald sie sich dem leckenden Boot nähert springen die Verzweifelten ins Wasser und ertrinken vor ihren Augen. Aber selbst wenn sie es schaffen würde sie herüberzuholen, ihre kleine Yacht würde ihre Menge nicht tragen können. Vorbeikommende Frachtschiffe verweisen auf strikte Vorgaben der Eignerfirmen für „solche Fälle“.
    Endgültig unter Zugzwang kommt sie als ein kleiner Junge vom Boot ihr den ersten Schritt abnimmt und zu ihr herüberschwimmt. Aber schon bei der Hilfeleistung für diesen einen gerät sie an ihre Grenzen. Und so bleibt ihr scheinbar tatsächlich nur zu warten, bis die europäischen Einwanderungsbeamten auf ihren hochgerüsteten Schiffen daherkommen um routiniert die Zahl der Toten auf ihren Klemmbrettern zu dokumentieren.

    „Styx“ ist ein Film dessen Handlung praktisch keinen Dialog verlangt, umso gekonnter inszeniert Wolfgang Fischer das Geschehen. Mühelos scheinen die Kameraeinstellungen und Szenen ausgewählt. Erzähltechnisch wird man sicher durch die Geschichte geführt, so dass man sich ganz auf den entscheidenden Gewissenskonflikt konzentrieren kann: „Was würde ich tun?“.

    Die dramaturgischen Kunstgriffe kommen nicht als solche daher, sondern fügen sich perfekt in die Erzählung. So geniesst etwa Rike noch vor dem Sturm, nackt im Atlantik schwimmend, das Gefühl allein mit den Elementen zu sein. Als sie im zweiten Teil des Filmes unfreiwillig in die gespiegelte Situation gerät, vom über ihre Untätigkeit wütenden Jungen ins Wasser gestossen, verfällt sie in Panik: kein Halteseil verbindet sie diesmal mit ihrem sicheren Boot.

    Styx ist ein großartiger Film. Keine kunstvolle Parabel, die in ihrem eigenen Nabel bohrt, sondern ein großes Stück Filmliteratur, das einem das Thema unsere Zeit so hautnah heranbringt, dass es fast schon schmerzt. Möge er besonders jenen auf der Haut brennen die zynisch davon sprechen „die Mittelmeeroute zu schließen“.

    PS: Erwähnt werden sollte auch die Filmmusik von Dirk von Lotzow (ja, der Tocotronic-Sänger). Nur ganz am Anfang und gegen Ende des Filmes träufelt er auf einer einsamen, extrem halligen E-Gitarre ein paar karge Töne über die Bilder. Kein Versuch dem Sichtbaren eine zusätzliche Stimmung zu addieren sondern eher ein akustisches Nachdenken und Reflektieren des Gesehenen. Passt.
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    17.02.2018
    12:44 Uhr