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  • Bewertung

    Von der Isolierten zur Liebhaberin

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    „Die Liebhaberin“, der zweite Spielfilm des Salzburger Regisseurs Lukas Valenta Rinner, der bei der Diagonale 2017 erstmalig in Österreich gezeigt wurde, begleitet die unscheinbar mutende Haushälterin Belén (Iride Mockert) in eine wohlsituierte Nachbarschaft eines Vorortes von Buenos Aires, in der die gesellschaftliche Oberschicht inmitten von Sicherheitszäunen und arrangierten Gärten lebt. Der Kontrast auf der anderen Seite des Stacheldrahtes könnte nicht stärker sein: hier trifft Belén durch Zufall auf eine Gemeinschaft, die Nacktheit und Wildnis zelebriert und begibt sich auf eine persönliche Entdeckungsreise.

    Die Idee von exklusiven Nachbarschaften in Buenos Aires hat einen realen Hintergrund – in „gated communities“ bezahlen Wohlhabende für Grundstücke in einem zugangsbeschränkten und gesicherten Wohnkomplex. Skurril erscheint hier die ebenfalls tatsächlich existierende Nudistencommunity auf dem angrenzenden Gelände – Lukas Valenta Rinner treibt diesen Konflikt in seinem Film auf die Spitze und zeigt mit viel bildlichem Gespür die Kontraste der zwei Gesellschaftsnischen.

    In der Anlage, in der die schüchterne Belén ihre neue Arbeitsstelle antritt, scheint alles nach geordneten Mustern abzulaufen. Die menschenleeren und eintönig sauber wirkenden Straßenzüge lassen den Bewohnern viel Raum, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Wortkargheit und fehlende Herzlichkeit scheinen hier eine willkommene Privatsphäre zu bedeuten, den menschlichen Interaktionen fehlt es an Wärme. Belén scheint sich mit dem Dasein im Hause der anspruchsvollen Dame, ihrem verzärtelten Sohn und deren gehaltloser Kommunikation abzufinden, als sie während der Gartenarbeit plötzlich auf ein Geschehen auf der anderen Seite des Sicherheitszaunes aufmerksam wird und sich neugierig dorthin begibt. Mit dem Tor, das Belén öffnet, öffnet sich für sie eine völlig neue Welt. Anfangs noch zögerlich, fühlt sie sich bald angenommen von der Gemeinschaft, in der Freiheit, Akzeptanz und menschliche Zuneigung hochgeachtet werden. Immer häufiger sucht sie in der Natur des verwilderten Grundstücks Zuflucht, bevor sie wieder zu ihrem tristen Arbeitsplatz zurückkehrt. In Lesekreisen und tantrischen Ritualen entdeckt sie für sich Gefühl und Körperlichkeit. Doch die friedliche Idylle wird bald gestört, als sich die Konflikte zwischen den vom Zaun getrennten Nachbarschaften verschärfen. Die utopische Welt jenseits des Zauns scheint für Belén zu zerfallen, und langsam zerfällt auch ihre Geduld, ihr Dasein in der starrsinnig elitären Parallelgesellschaft fortzuführen. Stattdessen scheint sich ihre unscheinbare Gestalt in eine Kämpferin gewandelt zu haben.

    Eindrucksvoll arbeitet Lukas Valenta Rinner in „Die Liebhaberin“ mit visueller Komposition. Die nackten Körper in der ungezähmten, wilden Natur verbildlichen den Gegensatz zu der nahezu grotesken vorstädtischen Anordnung und Eintönigkeit der Gated community. Die kontrastreichen Bilder und Kameraschnitte sprechen für sich und erzeugen Stimmungen und humoristische Momente ohne viele Worte. Und auch symbolisch ergänzt die Knappheit an Dialogen die Themen der beiden Nachbarschaften: während die bourgeoise Welt aus mangelnder Kommunikationsfähigkeit und fehlendem Interesse am Gegenüber wenig zu sagen hat, ist langes Gerede in der Nudistengemeinschaft nicht notwendig, um Austausch und Liebe zu erfahren. Einen großen Beitrag zur Darstellung der Körperlichkeit liefert auch die Hauptdarstellerin Iride Mockert – anfangs fast unsichtbar, in sich gekrümmt und verkrampft wird sie zunehmend gelöster, und mit ihrem Freiheitswillen wächst auch ihre visuelle Präsenz. Ein Schlüsselpunkt ihrer Wandlung wird deutlich, als sie erstmalig ihr langes Haar aus dem Zopf bindet und sich, Scham und Brust verdeckend wie Botticellis Venus, dem Blick der nackten Gemeinschaft stellt.
    Angelehnt an den Originaltitel des Films „Los decentes“ (spanisch für „Die Anständigen“) scheint die Wohlstandsgemeinschaft nach außen hin Sittlichkeit darzustellen, doch während des Films zeigt sich hinter dieser Fassade eine feindlichere Gesinnung als man sie in der Nudistengemeinschaft vorfindet. Beide dargestellten Lebenskonzepte spiegeln gesellschaftliche Nischen mit ihren Eigenarten wider, sodass die Frage, wer die wirklich Anständigen sind, am Ende nicht ganz geklärt ist.

    Insgesamt ist Lukas Valenta Rinner mit die „Die Liebhaberin“ eine sowohl bildlich als auch gesellschaftskritisch feinfühlige Arbeit gelungen, die den Preis für den besten österreichischen Spielfilm bei der Diagonale 2017 absolut verdient hat.
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    10.04.2017
    22:55 Uhr
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    Realisierte Dystopie vs. Paradies

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    „Die Liebhaberin“ ist der zweite Spielfilm von Lukas Valenta Rinner. Bei der Österreichpremiere auf der Diagonale 2017 war der sympathische Regisseur dabei – und erzählte unter anderem von der glücklichen Entstehungsgeschichte des Filmes. So findet er durch ein Plakat zufälligerweise einen Swingerclub in der Umgebung von Buenos Aires. Zur gleichen Zeit tritt ein koreanisches Filmfestival an ihn heran – und fragt Valenta Rinner ob er nicht eine Idee für einen neuen Film hätte. Und ein Drehbuch, welches sich auch während des Filmes im experimentellen Schreibprozess befindet, entsteht.

    Die stille, fast unsichtbare Belén (Iride Mockert) wird in der Umgebung von Buenos Aires in einer geschlossenen, umzäunten Gemeinschaft als Hausmädchen angestellt. Sie hat es schwer mit ihren Mitmenschen in Kontakt zu treten - die Isolation der Gemeinschaft, in der sie lebt, ist spürbar auch tief in ihr verankert. Als sie eines Tages beim Hecken schneiden Trommelgeräusche aus dem Wald jenseits des Zaunes hört, wird ihre Neugier geweckt und sie begibt sich auf eine undurchschaubare Reise ihres eigenen Wachstums, der wir mit der Kamera folgen dürfen. Als diese Reise zu enden droht reagiert Belén radikal und es kommt zu einer regelrechten Schlacht zwischen einer realisierten Dystopie und dem geschaffen Paradies.

    Die Abwesenheit von überflüssigen Dialogen und Musik und die Fokussierung auf Bewegung und Stillstand im Bild (wie auch der Protagonistin), die Darstellung unterschiedlichst geformter Körper in ihrer Nacktheit und Rohheit, in statischen Bildern vor der paradiesischen Natur Argentiniens machen diesen Film zu etwas ganz Besonderem. Auch wenn die Aufnahmen oft still und langsam sind, zieht sich für mich ein nervenkitzelnder Spannungsbogen durch den Film – unterstrichen von teils fast unbehaglicher Trommelmusik. Mit einem dunklen Humor, und teilweise grotesken Bildern (a la Yorgos Lanthimos) bringt einen dieser eigentlich dramatische Film immer wieder zum Lachen, Schmunzeln, freudigem Entsetzen.

    Zusätzlich erlaubt der Regisseur mit seinem Film einen Einblick in die so genannten „Gated communities“ um Buenos Aires. Kaufbar sind dort heutzutage anscheinend Sicherheit, Privatsphäre und Exklusivität - nicht jedoch Zufriedenheit, Glück oder gar menschliche Wärme. Um in diesen geschlossenen Gemeinden überhaupt drehen zu dürfen, musste sein Team laut Valenta Rinner den Film als eine romantische Komödie verkaufen - und selbst dann war es schwer dort zu drehen. Einfacher war es da schon angeblich im Swingerclub im Freien – wo immer mehr Leute Interesse zeigten am Film teilzunehmen.

    Auf jeden Fall eine Empfehlung meinerseits, ein ziemlich großartiger Film – der in mir Lust auf mehr hervorruft, weshalb ich mir jetzt unmittelbar den ersten Spielfilm von Valenta Rinner „Parabellum“ anschauen werde.
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    30.03.2017
    09:58 Uhr