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82.5% Bewertung
  • Bewertung

    Der syrische Immigrant

    Der Film ist nicht nur was für Fans von Aki Kaurismäki, weil die Figuren alle mit Ladehemmung agieren und einen Spazierstock verschluckt zu haben scheinen. (Gesichtslähmung inklusive). Auch nicht, weil sich am Ende alles wie in einem Märchen zum Guten wendet, ohne dass der Zuschauer genau weiß warum. Das Anschauen lohnt sich aus zwei Gründen: die Musik ist gut und die wenigen Gags erheitern den vor sich hindämmernden Zuschauer. Der Plot ist eine Wundertüte aus der Realitätsretorte und kommt wie eine Dokumentation daher mit einem ausnehmend hübschen Titel.
    Der syrische Immigrant Khaled landet zufällig in Finnland und will politisches Asyl beantragen. Als die Abschiebung droht, taucht er unter. Außerdem sucht er seine Schwester, die er auf der Balkanroute verloren hat. Parallel dazu zieht der Handlungsreisende Wikström zu Hause aus, weil seine Frau trinkt und macht ein Restaurant auf. Er gibt Khaled einen Job. Rassisten sind ihm aber auf der Spur und lauern ihm auf.
    So lobenswert die Absicht des Regisseurs auch sein mag, eine brennende Frage der Zeit zu thematisieren, man muss schon seinen eigenartigen Stil mögen: lange Passagen ohne Worte, minimale Gesten - von einer gelegentlichen Umarmung mal abgesehen. Da bleibt die Distanz emotionslos auch wenn am Ende Khaled vom Rassisten verletzt still unter einem Baum liegt und aufs Wasser schaut, seine Schwester gefunden hat und Wikström wieder heimkehrt, weil seine Frau nicht mehr trinkt…
    Es ist eine mögliche Betrachtungsweise für das Problem der illegalen Immigration, die hier stilsicher aber etwas gewollt hingebogen wurde. Die Begeisterung der Kritiker kann ich leider nicht teilen.
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    09.05.2019
    14:51 Uhr
  • Bewertung

    Unterhaltsam-tragisches Plädoyer für Flüchtlinge

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    „Sie wären nicht der Erste, der Asyl beantragt. Willkommen in Finnland“, begrüßt ein Polizist in Helsinki Khaled Ali, der gerade als blinder Passagier auf einem Kohledampfer nach Finnland geflüchtet ist. Khaled wird in ein Flüchtlingsheim gebracht, wo die Angestellten und anderen Flüchtlinge ihn auf den komplizierten Prozess vorbereiten. „Lächle. Die Melancholiker schicken sie zuerst zurück“, gibt ihm sein Freund aus dem Irak mit auf den Weg. Doch alle guten Ratschläge helfen letztendlich nicht. Es gäbe keine Sicherheitsbedenken, aufgrund dessen er Aleppo hätte verlassen müssen, entscheidet das Gericht. In einem fast bizarren Kontrast dazu schauen die Einwohner des Flüchtlingsheim in der darauffolgenden Szene einen Nachrichtenbeitrag über die Zerstörung in Syrien.

    Er wolle finnische Ansichten zur Flüchtlingskrise ändern, erklärte Regisseur Aki Kaurismäki bei der anschließenden Pressekonferenz. Ihm gefalle die Einstellung nicht, die Menschen gegenüber den Fliehenden an den Tag legen würden. „Ich will die Welt verändern. Erst Europa und dann Asien.“ Diese Ansichten reflektieren sich auch in den finnischen Charakteren im Film. Ähnlich wie in „The Havre“, dem ersten Teil seiner Flüchtlingstrilogie, wird ein Einheimischer zum Beschützer für den Geflohenen. Wikström ist ein resoluter älterer Herr, der ebenfalls auf der Flucht aus seinem bisherigen Leben ist. Nachdem er Frau und Job verlassen hat und ein Restaurant übernimmt, kreuzen sich seine und Khaleds Wege nach dessen negativen Asylbescheid. Wikström und seine Angestellten verstecken Khaled, besorgen ihm einen falschen Ausweis und helfen bei der Suche nach dessen auf der Balkanroute verschwundenen Schwester.

    Es ist diese Selbstverständlichkeit, mit der die Charaktere den Flüchtlingen helfen, die den Film so berührend und unterhaltsam macht. Mit seinem charakteristisch beißenden Humor zeigt Kaurismäki, wie die Welt ein besserer Ort wird, indem man einfach das tut was richtig ist. Der Verlockung, sich mit dem Thema moralisierend auseinanderzusetzen, widersetzt er sich. Neben den erheiternden Momenten, in denen Khaled erklärt, der Hund sei nun zum Islam konvertiert da er ihm Arabisch beigebracht habe, oder dem fatalen neuen Sushi-Konzept des Restaurants, bei dem stinkender Hering und riesige Portionen Wasabi auf Reis serviert werden, schlägt der Film aber auch immer wieder die notwendigen ernsteren Töne an. Auf die Frage, wie er über die Grenze gekommen sei, antwortet Khaled gemäß, „Das war einfach. Niemand will mich sehen.“. Kaurismäki zeigt nicht nur die helfende Hand der finnischen Bevölkerung, immer wieder muss Khaled auch vor der „Finnischen Befreiungsarmee“ fliehen. Das ist eine Gruppe fremdenfeindlicher Hünen, die ihn immer wieder brutal attackieren. Das Paradoxe an einer dieser Szenen ist, dass der Anführer der Gruppe Khaled „Judenjunge“ ruft. Kaurismäki zeigt, es geht gar nicht so sehr darum, dass diese Menschen etwas gegen Flüchtlinge per se haben, sie tragen vielmehr einen Hass gegen alles andere in sich.

    Kaurismäki hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die mentale Verfassung Europas zu retten. Es sei ein Verbrechen sich nicht der Flüchtlingssituation zu stellen und ein Fehlen jeglicher Kultur. Es sei egal woher der Mensch komme, man sei selber keiner, wenn man nicht bereit wäre offen zu sein und zu helfen. Mit seinem Film schafft er es nicht nur, diese Notwendigkeit darzulegen, er versteht es auch diese Botschaft unterhaltsam näherzubringen. Der typische Kaurismäki Humor findet darin ebenso seinen Platz wie das typische Kaurismäki Production Design. Irgendwo in den 80ern verloren gegangen, besitzt der Film einen zeitlosen Look. Da liegen Wählscheibentelefone neben modernen Computern, die Figuren fahren sowohl in alten Oldtimern als auch modernen Bussen. Da grieselt das Bild und flimmert im satten Technicolor Look und harten Schatten über die Leinwand. Eine perfekte Symbiose. Als Zuschauer kann man auf den dritten Teil seiner Trilogie gespannt sein.
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    17.02.2017
    21:22 Uhr