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72.5% Bewertung
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    Picksüsß, dreckig & laut.

    Es ist ein Jammer, dass praktisch alle Vorankündigungen groß bepaukten dieser Film sei zur Gänze auf einem tragbaren Fernsprechgerät der Firma Apple aufgezeichnet worden. Es war geradezu spürbar, dass ein Gutteil der Zuschauer - und ich nehme mich nicht aus - zu Beginn kräftig zwinkerte & das Bild prüfte.

    Es hielt stand.

    Aber eigentlich war binnen Sekunden dem ausverkauften Gartenbausaal klar, dass die perfekt beherrschte Technik hier ohnehin nicht das Thema sein würde, sondern der (die) Hauptdasteller(in): Kiki Kitana Rodriguez. Der Szenestar spielt eine transsexuelle Prostituierte, die am Tag der Haftentlassung erfährt, dass ihr Liebhaber & Dealer sie in der Zwischenzeit mit einer weiblichen Kollegin betrogen hat. Diese Information reicht für einen fast 90 minütigen Rachefeldzug durch ein vorstädtisches L.A. wie wir es im Kino selten zu sehen bekommt.

    Neben der atemberaubenden Naturgewalt der Hauptfigur wird quasi am Wegesrand ein facettenreiches Portrait der Vorstadt gezeichnet: kleine Dealer, Schreiduelle in Fast-Food-Läden, ein Taxilenker, der den Weihnachtsabend lieber den Strich abgrast statt sich bei seiner Familie zu bleiben, gesprengte Swingerparties in drittklassigen Motels... währendessen wirds im Hintergrund langsam Nacht & wer kann richtet sich für den Festschmaus. All dies gekonnt in einander verwoben, um sich letztlich dann brisant zu vereinen.

    "Tangerine" ist eine zuckerlbunte Wildsau von Film, laut & wie das Leben: ein bissl grauslich, extrem unterhaltsam und wenn Langeweile droht, dann drehen wir einfach die Musik ein wenig lauter. Und um nix in der Welt würden wir es hergeben. Ach ja und nebenbei filmtechnisch ein kleines Juwel.

    Ich ersuche hiemit die Kinos dieser Welt höflichst diesen Film künftig & alljährlich an den Weihnachtsfeiertagen zu zeigen. Anschließend ist mit mindestens 4 Tagen Weltfrieden zu rechnen.
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    23.09.2016
    08:18 Uhr
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    She-Male mit iPhone

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Eine Transgender-Prostituierte kriegt nach einem Gefängnisaufenthalt mit, dass ihr Freund etwas mit einer anderen Frau hatte. Was folgt ist die Suche nach der vermeintlichen Liebschaft und die Zur-Rede-Stellung des Freundes. Mittendrin ein taxifahrender Familienvater, der selbst zu Weihnachten seiner heimlichen sexuellen Neigung frönen möchte.

    „Tangerine“ sorgt vor allem deswegen für Furore, da es ein Kinofilm ist, der zur Gänze mit einem iPhone (Anmerkung für Apple-Aficionados: einem 5S) gedreht wurde. Doch leider bringt dies dem Film überhaupt keinen Mehrwert. Wenn „Tangerine“ mit einer professionellen Filmkamera gedreht worden wäre, hätte es dem Film keinen Abbruch getan. Augenscheinlich ist, dass es narrativ und aufnahmetechnisch überhaupt keinen Rückverweis auf das Aufnahmegerät gibt. Die Kamera nimmt nie eine Position ein, die beispielsweise nur mit einem kleinen Smartphone zu erreichen wäre. Natürlich ist der Großteil des Films im freien Handkamerastil aufgenommen, jedoch ist dies im Weltkino schon lange nicht mehr innovativ. Die restlichen Szenen sind sogar recht klassisch – viele Dialoge z.B. Schuss-Gegenschuss-Verfahren – aufgelöst.

    Das Unterfangen des Filmes ist, die Transgender-Sexarbeiterinnen-Szene Los Angeles‘ möglich lebensecht einzufangen. Die Dialoge in „Tangerine“ wirken oft improvisiert, sind dabei in den besten Fällen wahrhaftig und in den schlechtesten „cringe worthy“. Der Film weiß genau, wovon er erzählt, bewegt sich dabei jedoch stets zwischen gelungener dokumentarischer Milieustudie und peinlichem Scripted-Reality-Format. Erstere Momente überwiegen. Die Geschichte rund um den armenischen Taxifahrer, der bei Frau, Kindern und Schwiegermutter den Mann des Hauses geben muss, aber während seiner Arbeitszeit Prostituierte bezahlt, um ihnen einen zu blasen, ist das Highlight, der sonst recht dünne Story.
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    29.10.2015
    03:42 Uhr