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    love happens

    shit happens. nicht bloß, dass david von seiner frau verlassen wurde, er muss, schüchtern, bieder und mit deutlichem bauchansatz, im so genannten "hotel" innerhalb von 45 tagen eine neue gefährtin finden – so schreibt es die gesellschaft zwingend vor – oder sich in ein tier seiner wahl verwandeln lassen. ein schicksal, das die schießwütigeren/gefühlskälteren hotelgäste durch das erlegen subversiver singles, die sich im nahe gelegenen wald zu einer art widerstandsgruppe zusammengerottet haben, durch anhäufung von bonustagen aufzuschieben suchen; oder dem die trickser durch vortäuschen von oberflächlichen gemeinsamkeiten (wie nasenbluten) mit dem nächstbesten partner – we are a match! – zu entgehen suchen.

    allein, david mag weder das eine noch das andere gelingen, und so flüchtet er am letzten tag zu den widerständlern in den wald. deren lebenskonzept nicht weniger rigide ist: keine vertraulichkeiten, keinerlei zärtlichkeiten bitte! und just da passiert, was im hotel unmöglich schien: david knüpft zarte bande zu einer leidensgenossin (genauso kurzsichtig wie er), nach und nach entwickeln sie eine eigene sprache, ein wortloses verstehen, das die umwelt ausschließt. madame rebellen-anführerin (die wohl herbe enttäuscht worden sein dürfte von der "wahren liebe") kriegt's schließlich mit und rächt sich wie die böse hexe in grimms märchen...

    soweit der inhalt in knappster form. aufgepeppt wird diese absurde geschichte durch beißenden spott ("wenn in eurer beziehung probleme auftauchen, die ihr beide nicht lösen könnt, wird euch ein kind zugewiesen"), situationskomik (wie der versuchte selbstmord aus dem ersten stock oder der abtransport der "besten freundin" als eben transformiertes pony) bis zu bösen tabubrüchen (ein schäferhund wird zu tode getreten, ein esel erschossen) und körperlich nachvollziehbaren schmerzen – zart besaitete (männer)seelen mögen sich die augen zuhalten, wenn ben wishaw sich den schädel auf die tischplatte knallt. trotzdem: als "dystopie" oder sci-fi-sozialsatire mag ich den film nicht ansehen – zu undurchführbar (weil zu rigide) ist dieses gesellschaftsmodell, zu fern jeder realität, als dass ich mich nachhaltig beeindrucken ließe, zu schablonenhaft die charaktere, um mich mitzureißen (aus der besetzungsliste: donkey shooter, nosebleed woman), zu unlogisch die handlung (warum lässt sich die mehrheit in wehrlose schoßhündchen verwandeln, wenn eine horde von hochintelligenten velociraptoren das machtgefüge deutlich verändern könnte? warum muss man noch nach oberflächlichen gemeinsamkeiten suchen, wenn man bereits eine gemeinsame sprache entwickelt hat?)... und wer über die liebe nicht ohnehin viel mehr weiß, als der hummer zu bieten hat, kann einem echt leid tun.

    fazit: 118 minuten zwischen monty python und buñuels andalusischem hund können doch arg lang werden...

    NB: andere länder begnügen sich mit dem englischen titel oder der übersetzung in die landessprache – die deutschen verleihtitel lauten "the lobster: eine unkonventionelle liebesgeschichte", oder alternativ "the lobster: hummer sind auch nur menschen". ein weiteres beispiel für die WTF-liste, wie ich meine.
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    30.06.2016
    14:38 Uhr
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    Paarung oder Tier

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „The Lobster“ führt uns in eine dystopische Gegenwart, in der alle Singles in Hotels gebracht werden und dort einen Partner fürs Leben finden sollen. Falls sie dies innerhalb von 45 Tagen nicht schaffen, dann werden sie in ein am Anfang des Aufenthalts gewähltes Tier verwandelt. Colin Farrell spielt David, den seine Frau für einen anderen Mann verlassen hat und der daraufhin eben in sein solches Single-Hotel gebracht wird. Das Tier seiner Wahl ist ein Lobster, also ein Hummer. So weit, so absurd.

    Der Film nimmt seine surrealistische Ausgangssituation aber durchaus ernst, viele abstruse Szenen gehen nur folgerichtig aus dieser hervor. Die Menschen wählen sich im Singlehotel nach gemeinsamen Merkmalen aus; so finden beispielsweise zwei Singles in dem Wissen, dass sie beide oft unter Nasenbluten leiden, zueinander.

    Dystopische Erzählungen sind oft dazu da, um indirekte Kommentare über die reale Gegenwart zu machen. Die Single-Suche kann z.B. als eine extrem heruntergebrochene Parabel auf Online-Portale, die einem durch einen Algorithmus den perfekten Partner mit ähnlichen Merkmalen ausspucken, gesehen werden. In „The Lobster“ scheinen die Menschen schon gar keinen eigenen Willen mehr zu haben, sondern selber nur noch nach sozial vorgegebenen Algorithmen vorzugehen. Die Liebe ist zu einer Farce verkommen. Doch scheint der Film auch die grundsätzliche Frage zu stellen: Gibt es Liebe überhaupt, oder ist sie sowieso immer nur ein gesellschaftliches Konstrukt, das durch Regeln, Zwänge und Wünsche definiert ist, welche die Gefühle eines Menschen leiten?

    „The Lobster“ erinnert einen durchwegs an Francois Truffauts „Fahrenheit 451“, der Adaption des dystopischen Romans von Ray Bradbury. Wie in diesem gibt es freilich auch Dissidenten, nämlich die Loner – eine Gruppe von Singles, die ohne Paarungsabsichten im Wald wohnen und versuchen, das System zu bekämpfen. Nachdem sich unser Protagonist an seinem letzten Tag gerade noch aus dem Hotel befreien kann, schließt er sich diesen an. Mit der Zeit kommen David und ein weibliches Mitglied der Gruppe (Rachel Weisz) einander näher. Doch die Ausgegrenzten sind Extremisten und selbst durch Regeln ihres eigenen gesellschaftlichen Konstrukts geprägt: unter ihnen darf es keine Gefühle geben. David und seine neue Freundin laufen in Folge Gefahr, bestraft zu werden.

    „The Lobster“ berichtet von einer Welt, in der man von sozialen Regeln nur schwer davonlaufen kann – so wie es wiederum im wirklichen Leben nunmal auch ist.
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    04.11.2015
    05:10 Uhr