Filmkritik zu The Lobster

Bilder: Sony Pictures Fotos: Sony Pictures
  • Bewertung

    Paarung oder Tier

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „The Lobster“ führt uns in eine dystopische Gegenwart, in der alle Singles in Hotels gebracht werden und dort einen Partner fürs Leben finden sollen. Falls sie dies innerhalb von 45 Tagen nicht schaffen, dann werden sie in ein am Anfang des Aufenthalts gewähltes Tier verwandelt. Colin Farrell spielt David, den seine Frau für einen anderen Mann verlassen hat und der daraufhin eben in sein solches Single-Hotel gebracht wird. Das Tier seiner Wahl ist ein Lobster, also ein Hummer. So weit, so absurd.

    Der Film nimmt seine surrealistische Ausgangssituation aber durchaus ernst, viele abstruse Szenen gehen nur folgerichtig aus dieser hervor. Die Menschen wählen sich im Singlehotel nach gemeinsamen Merkmalen aus; so finden beispielsweise zwei Singles in dem Wissen, dass sie beide oft unter Nasenbluten leiden, zueinander.

    Dystopische Erzählungen sind oft dazu da, um indirekte Kommentare über die reale Gegenwart zu machen. Die Single-Suche kann z.B. als eine extrem heruntergebrochene Parabel auf Online-Portale, die einem durch einen Algorithmus den perfekten Partner mit ähnlichen Merkmalen ausspucken, gesehen werden. In „The Lobster“ scheinen die Menschen schon gar keinen eigenen Willen mehr zu haben, sondern selber nur noch nach sozial vorgegebenen Algorithmen vorzugehen. Die Liebe ist zu einer Farce verkommen. Doch scheint der Film auch die grundsätzliche Frage zu stellen: Gibt es Liebe überhaupt, oder ist sie sowieso immer nur ein gesellschaftliches Konstrukt, das durch Regeln, Zwänge und Wünsche definiert ist, welche die Gefühle eines Menschen leiten?

    „The Lobster“ erinnert einen durchwegs an Francois Truffauts „Fahrenheit 451“, der Adaption des dystopischen Romans von Ray Bradbury. Wie in diesem gibt es freilich auch Dissidenten, nämlich die Loner – eine Gruppe von Singles, die ohne Paarungsabsichten im Wald wohnen und versuchen, das System zu bekämpfen. Nachdem sich unser Protagonist an seinem letzten Tag gerade noch aus dem Hotel befreien kann, schließt er sich diesen an. Mit der Zeit kommen David und ein weibliches Mitglied der Gruppe (Rachel Weisz) einander näher. Doch die Ausgegrenzten sind Extremisten und selbst durch Regeln ihres eigenen gesellschaftlichen Konstrukts geprägt: unter ihnen darf es keine Gefühle geben. David und seine neue Freundin laufen in Folge Gefahr, bestraft zu werden.

    „The Lobster“ berichtet von einer Welt, in der man von sozialen Regeln nur schwer davonlaufen kann – so wie es wiederum im wirklichen Leben nunmal auch ist.
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    (Josko Boschitz)
    04.11.2015
    05:10 Uhr