J. Edgar

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Forumseintrag zu „J. Edgar“ von patzwey


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patzwey (19.01.2012 16:41) Bewertung
J. Edgar

Clint Eastwood verfolgt bei seinem neuesten Werk ein ähnliches Konzept wie 2009, als er sich dem Leben von Nelson Mandela widmete. Eine herausragende Persönlichkeit verkörpert von einem großartigen Schauspieler. Kaum einer, der da im Vorfeld des Films nicht an einen Oscar für Morgan Freeman geglaubt hatte - daraus wurde es aber bekanntlich nichts. Diesmal heißen die scheinbaren Erfolgsgaranten J. Edgar Hoover und Leonardo DiCaprio - vielleicht klappt es ja diesmal mit einer Auszeichnung für den Hauptdarsteller.

Der Rest des Films empfiehlt sich aber nur mit Einschränkungen für eine goldene Trophäe. Das Haar in der Suppe sind dabei die Ambivalenzen im Drehbuch von Oscargewinner Dustin Lance Black („Milk‟). Aber alles der Reihe nach: Die Grundstruktur ist auf alle Fälle sehr gelungen. Vor allem in der ersten Hälfte ist „J. Edgar‟ wunderbar verschachtelt. Karriere- und Lebensstationen wechseln einander mit hoher Geschwindigkeit ab - ein Best-Of der US-amerikanischen Zeitgeschichte. Zahlreiche gelungene Match Cuts sorgen für Erfrischung, während ein umfangreiches Bild des FBI-Gründers und seinen Vorstellungen entsteht - der Traum nach einer Kontrollgesellschaft in der Verbrechen keine Chance mehr hat. Das Bild eines Mannes, in dessen Leben es viele Ungereimtheiten, Schwammiges und Widersprüchliches gibt. Zumindest in der Darstellung des Karrieremenschen Hoover wird diese Rätselhaftigkeit filmisch gut umgesetzt. Der Übergang zwischen filmischer Realität und Fiktion ist fließend. Das Fenster hierfür wird vor allem durch die retrospektiven selbstdarstellenden Erzählungen Hoovers geöffnet.

So ähnlich wie Hoover mit seiner eigenen Geschichte umgeht, machen es auch Eastwood und Black bei der Erzählung ihrer Geschichte. Historisches wird gekonnt gedreht, interpretiert und der Fiktion untergeordnet. Leerstellen gibt es nur in der Darstellung des Karrieremenschen Hoover. In seinem Privatleben werden - trotz ebenso vieler historischer Unklarheiten - viele Lücken geschlossen. Regisseur und Drehbuchautor versteifen sich immer wieder auf halbherzige und plakative Erklärungs- und Interpretationsversuche für Hoovers Handeln und seinen Charakter. So wird eine Geschichte über Hoovers unterdrückte Homosexualität erzählt. Eine tragische Story von unmöglicher Liebe - immerhin großartig interpretiert von Armie Hammer (bekannt als Zwillingspaar in „The Social Network‟) und DiCaprio. Ein Pluspunkt für die glaubhafte Darstellung einer unglücklichen Männerliebe, mit dem bitteren Beigeschmack einer zu eindeutigen und zu viel historische Absolutheit beanspruchenden Interpretation. Auch die Rolle der dominanten Mutter (wiederum erstklassig verkörpert von Judi Dench) wirkt zu stereotyp und plump. Wie schon in „Hereafter‟ sind die Antworten, die Eastwood liefert zu eindeutig und mehr Raum für Interpretation hätte - vor allem bei so einem rätselhaften Menschen wie Hoover - dem Film sehr gut getan.

Dass Eastwood ein Regisseur ist, der seinen SchauspielerInnen immer sehr viel Platz einräumt und diese dadurch zu Höchstform auflaufen können, hat er bereits wiederholt eindrucksvoll bewiesen. So auch in „J. Edgar‟. Überzeugen können alle - allen voran aber der Star des Films. Die Herausforderung für DiCaprio war groß, da er gleich mehrere Rollen verkörpern musste. Jede Lebensphase von Hoover erfordert ein differenziertes Schauspiel. Zusätzlich kann DiCaprio - im Gegensatz zum unfreiwillig komisch aussehenden Armie Hammer - auf eine gelungene Maske vertrauen.

Fazit: Wieder einmal widmet sich Clint Eastwood einem seiner Lieblingsthemen: der Beleuchtung und Hinterfragung eines amerikanischen Heldenmythos. Herausgekommen ist dabei großes Schauspielerkino mit einem gut strukturierten Drehbuch. Ein interessantes und dialoglastiges Biopic mit schönen Bildern. Der Film versprüht viel klassischen Charme, hat jedoch Schwächen im Detail. Ein gutes Portrait eines Karrieremenschen, der alles seinen Träumen unterordnet und sich selbst dafür aufgibt. Die Inszenierung des Privatmenschen hinkt jedoch aufgrund zu stereotyper, plakativer und Absolutheit beanspruchender Darstellungsweisen.
 
 

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