Serpico

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Vintage Views (16.11.2010 18:02) Bewertung
Serpico
Der durchschnittliche New Yorker Polizist um 1970 kann an Frank Serpico (Al Pacino) viel nicht leiden. Er ist ein smarter Cop, aber auch ein Hippie: Lange Haare und Bart, lebt im Künstlerviertel Greenwich Village. Tierfreund. Idealist. Ein schrulliges Unikat eben und damit Spott und Häme ausgesetzt. Weil er sich aber strikt weigert, das allgegenwärtige Schmiergeld anzunehmen, wird er zu mehr als einer Lachnummer – für seine Kollegen ist er jemand, dem man nicht versteht und damit auch nicht trauen kann. Seine sture Integrität macht ihn für die Zuschauer unwiderstehlich sympathisch. Das geht in der ersten Hälfte des Films so weit, dass man fast misstrauisch ist, ob hier nicht zu weich gezeichnet wird. Doch dann zeigen sich die Schattenseiten seiner Persönlichkeit. Je stärker der Druck auf ihn wird, je mehr er um seine Sicherheit fürchtet desto verärgerter wird er über die ungerechten Umstände. Hilflosigkeit wird zu Wut und die lässt er nicht immer an denen aus, die sie verdienen.

Sidney Lumets Film erzählt eine wahre Geschichte nach der Biographie von Peter Maas ohne heftig zu fiktionalisieren. Unaufgeregt, in kurzen, prägnanten Szenen, die einen Zeitraum von Jahren auf eine Art und Weise verdichten, die ganz natürlich wirkt. Der eine oder andere geniale Moment bleibt in Erinnerung: Der Beginn in Dunkelheit, in dem man nur eine Sirene, Scheibenwischer und schweres Atmen hört. Das wiederkehrende Motiv der Schießstände als schlechtes Omen. Serpicos schwere Verwundung im Einsatz – schmerzhaft zuzusehen, wie er sich durch eine Tür zwängen will und damit ohne Unterstützung seiner Kollegen in die Falle geht und angeschossen wird. Grundsätzlich darf man sich keine Überraschungen erwarten. Der Film versucht sich nicht an plötzlichen Wendungen oder umfassenden Lösungen. Aus gutem Grund: Der Korruptionsskandal der New Yorker Polizei war Anfang der 70er ein Medienspektakel. Das Publikum kannte Serpicos Geschichte, die Frage der Menschen hinter den Ereignissen stand im Vordergrund. So ist Serpico kein Actionfilm sondern eine Charakterstudie. Frank macht eine Reise von jemandem, der einfach nur in Ruhe seinen Traumberuf ausleben will, ohne mit Korruption belästigt zu werden, zu einem Kämpfer gegen eine völlig verkorkstes System, in dem ein ehrlicher Polizist sich wie ein Vebrecher fühlen muss. Er verliert aber auch seinen freigeistigen Charme, wird zum rücksichtslosen Egomanen, mit dem man keine Beziehungen unterhalten kann. Reichlich Stoff für einen jungen Al Pacino, alle Register zu ziehen. Zu Recht bekam er dafür seinen ersten Golden Globe und eine Oscar-Nominierung.

Pacinos Performance hält hier einen guten Film zusammen und macht ihn zu etwas Besonderem: Ein zeitgeschichtliches Dokument über den ersten Polizisten, der seinen „Ehrenkodex“ brach und mit seinen Anschuldigungen an die Öffentlichkeit ging. Frank Serpico steht damit am Beginn fast schon einer amerikanischen Tradition von einflussreichen „Whistleblowers“ – selbstlose Aufdecker von alarmierenden Missständen. In Zeiten von WikiLeaks nach wie vor ein brisantes Thema.
 
 

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