The Old Oak

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Forumseintrag zu „The Old Oak“ von cinemarkus

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cinemarkus (01.11.2023 22:44) Bewertung
Menschlichkeit hat Bestand
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
„Was wollen die hier? Die nehmen uns nur alles weg. Die bekommen alles in den A**** geschoben! Die sind gefährlich!“
Sätze wie diese hört man seit jeher. Ob hierzulande oder Übersee, die Parolen sind überall gleich. Auf der letztjährigen Viennale konnte man das Ganze in einer erschütternden Sequenz im etwas untergegangen „R.M.N.“ erleben, als in einem rumänischen Dorf die Wogen hochgingen.

Palm d‘or Doppelpreisträger Ken Loch („Ich, Daniel Blake“, „The wind that shakes the barley“), der auch heuer in Cannes mit seinem aktuellen (und möglicherweise letzten) Film ins Rennen ging, überraschte nun damit auf der Viennale. In „The Old Oak“ zeigt er die altbekannte Problematik anhand eines Dorfes im Nordosten Englands.

Früher florierte dort das Leben, die Mine hielt genug Arbeit für alle bereit. Seit sie geschlossen wurde, sieht es dagegen eher trist aus. Scharen von Einwohnern ziehen davon, die Preise für Wohnraum fallen in den Keller. Auf der Straße herrscht gähnende Leere. Die, die geblieben sind, kämpfen um über die Runden zu kommen.
Loach fängt wunderbar diese Atmosphäre ein, der ideale Nährboden für den Hass. Nun ist es selbstverständlich nie eine Rechtfertigung, doch bekommt man schon ein Gefühl dafür warum in dieser Trostlosigkeit etwas dergleichen entstehen kann. Erst zwei Tage vor Sichtung des Films war ich selbst in einem noch kleineren, abgeschiedenen Dorf an der nordirischen Küste, das wahrlich einer Geisterstadt glich. Auch dort gab es lediglich ein Pub als einzigen öffentlichen Raum. Und so ist im Film für die Dorfbewohner der letzte Zufluchtsort „The Old Oak“. Und jetzt müssen sie dieses ausgerechnet mit Flüchtlingen teilen?

TJ Ballantyne (Dave Turner) hat das Pub von seinem Vater übernommen, der auch in der Mine gearbeitet hat. „Stärke, Solidarität, Widerstand“, dies war das Motto der Arbeiterbewegung, und TJ scheint es zu seinem gemacht zu haben. Immer wieder tritt es als das zentrale Motiv des Films auf. Als die Syrer im Dorf ankommen, ist er zur Stelle um ihnen einen liebevollen Empfang zu bereiten, im Gegensatz zu seinen Stammkunden, die von Anfang an nur Missgunst sähen.

Der Hass und Rassismus scheint also tief verwurzelt zu sein, wie Unkraut wuchert es immer wieder und scheint sich hartnäckig zu halten. Doch die mächtige Eiche lässt sich davon nicht beeinflussen, auch wenn sie wörtlich wie sinnbildlich auseinander zu fallen droht. Und so steht der Name der Gastwirtschaft für mehr als nur eine Firmenbucheintragung. TJ selbst repräsentiert persönlich diese Beständigkeit, egal was ihm das Leben auch antun mag, er wählt den Weg der Nächstenliebe. Loach stellt klar: anderen die Schuld zu geben ist immer noch eine bewusste Entscheidung!
Gemeinsam mit Yara, eine der Geflüchteten zu der er eine besondere Verbindung aufbaut, stellt TJ ein Projekt auf die Beine, um den weniger Gesegneten eine Mahlzeit zu bereiten, egal welcher Herkunft. Denn „wer zusammen isst, hält zusammen“. Mich als Koch hat das natürlich total angesprochen.

Die Hauptfigur bleibt aber keineswegs ohne Schwächen, immer wieder lässt er fragwürdige Aussagen einfach unkommentiert, möchte sich nicht einmischen. Im entscheidenden Moment hat er zwar dann den Mut, doch zeigt uns das auch wie Passivität solch ein Verhalten erst zulässt. Eine Erinnerung mich selbst öfter bei der Nase zu nehmen und für meine Ideale einzustehen.

Generell scheint der Film schon offene Türen einzurennen. Ob wahrhaftigen Rassisten da wirklich das Herz aufgehen wird ist fragwürdig, dem Film kann man es jedoch schwer vorwerfen. Das Drehbuch von Loachs langjährigem Partner Paul Laverty kommt nicht ganz ohne Klischees oder Vorhersehbarkeit aus. In den Händen eines weniger erfahrenen Duos hätte alles durchaus noch kitschiger werden können, im Großen und Ganzen fühlt sich die Geschichte jedoch sehr realitätsnah an. Lediglich in den letzten paar Minuten bekommen wir plötzlich ein Ende, das schon etwas weit hergeholt scheint.

Die Geschichte ist nicht neu, die Inszenierung vielleicht etwas sentimental. Doch möge die Welt ihrer nie überdrüssig werden, denn sobald wir aufhören sie zu erzählen, geben wir dem Hass erst eine Chance.
 
 

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