Sisi & Ich

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Forumseintrag zu „Sisi & Ich“ von Filmgenuss

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Filmgenuss (15.11.2023 18:17) Bewertung
Die Kaiserin gehört sich selbst
Einen Historienfilm über die beliebte Kaiserin von Österreich mit Portisheads Nummer Wandering Star zu beginnen, ist mutig und geradezu avantgardistisch. Auch hier, wie schon bei Maria Kreutzers Corsage, ist das Schnüren des Mieders ein wesentliches Element, um die Enge des gesellschaftlichen Quadratmaßes zu beschreiben, welches Frauen in Zeiten wie diesen nutzen durften – auch jene von höherer Herkunft. „Eine Kaiserin gehört zum Kaiser“, höre ich Vilma Degischer als Ernst Marischkas Version von des Kaisers Mutter in leicht keifendem Befehlston von sich geben. Nun, nicht nur Kaiserin Sisi gibt darauf gar nichts und ebenso Frauke Finsterwalder (u. a. Finsterworld) schließt sich diesem trotzigen, aber niemals nicht selbstbewussten Nonkonformismus an, den Elisabeth fortan zelebrieren wird: Auf Korfu, auf Reisen übers Mittelmeer, im vereinigten Königreich. Überall sonst, nur nicht daheim beim Ehegatten Franz, um als Verschönerung einer monarchistischen Agenda herzuhalten. Diesen Ausbruch und dieses Anderssein beobachtet nun jemand ganz anderer – eine Frau namens Irma, ihres Zeichens Gräfin Sztáray und unter der brutalen Fuchtel ihrer Mutter stehend, die ihr gerne mal einen Kinnhaken verpasst. Sisi wird durch diesen Blickwinkel zur beispielhaften Exotin: zum Medium dafür, Normen zu hinterfragen und den Tod als letzte Instanz für Freiheit anzuerkennen.

Die phänomenale Sandra Hüller, die eben erst mit Anatomie eines Falls brilliert hat, schein in Sisi & Ich sogar noch mehr in ihrer Rolle aufzugehen. Als Irma ist sie ein blaublütiges zwar, aber naives und geradeheraus denkendes Mädel ohne Allüren und Maske. Ihre Direktheit und manchmal unbeholfene Unverblümtheit, die sich mit hofzeremoniellem Respekt vermengt, scheint auch die in ihren letzten Lebensjahren nur noch schwarz tragende, zutiefst unglückliche Kaiserin positiv zu überraschen. Als Hofdame muss Irma von nun an ordentlich Gewicht reduzieren und darf nur noch selten von Sisis Seite weichen. Sie muss reiten, Sport betreiben und Wassersuppe schlürfen. Allerdings kann sie auch ihre Meinung sagen, obwohl die Kaiserin das letzte Wort hat. Nicht nur die beiden historischen Figuren, auch Hüller und Susanne Wolff dahinter müssen sich auf Anhieb verstanden haben. Zwischen den beiden entstehen bereits zu Beginn die für den eigentlich recht handlungsarmen Stoff notwendigen Synergien, um das Interesse an den Figuren auch nach zwei Stunden Laufzeit noch zu garantieren. Basierend auf den tatsächlichen Aufzeichnungen eben jener Irma skizziert Finsterwalder das aquarellfarbene Portrait einer Zweisamkeit mit sehr viel Gespür für die richtigen Schlüsselszenen, ohne sich mit belanglosem Zeitvertreib aufzuhalten. Damen und Herren der Geschichte haben ihren ins Groteske verzerrten Auftritt, darunter der ebenfalls als Außenseiter geltende Erzherzog Viktor (einnehmend: Georg Friedrich) oder Franz Josef (Markus Schleinzer) als entmythisierter Bürokrat, der an der Distanz zu seiner Ehefrau verzweifelt.

Der Ohrwurm Ich gehöre nur mir aus dem beliebten Musical Elisabeth scheint in Finsterwalders oszillierender Kultcharakter-Interpretation rein inhaltlich zum Leitmotiv zu werden – immer wieder mit Lust am Anachronismus konterkariert durch Musiknummern unter anderem von Nina Hynes oder Nico. Diese Methode, und auch dank des sich keinem Muster unterwerfenden Spiels der beiden Hauptdarstellerinnen, schafft es Sisi & Ich, sich so sehr an die Wahrheit anzunähern wie kaum ein anderes Machwerk, das die Kaiserin in den Mittelpunkt rückt. Gerade diese Freiheit, zu fabulieren, und dabei doch so manche Fakten im Auge zu behalten, schafft eine Balance, die sich weder zu nostalgischem Heimatkitsch hinneigt noch zur selbstverliebten Progressivität von Filmemachern, die das Gefühl haben, mit jedem Mittel den oft nach- un umerzählten Lebensweg ganz anders durchexerzieren zu müssen. Da reicht Sisis auf- und abwallendes Verhalten, da genügt Irmas immer stärker und idealistischer werdendes Verständnis für eine verhängnisvolle Sehnsucht, die zu erfüllen unausweichlich scheint.



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