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    Die Kaiserin gehört sich selbst

    Einen Historienfilm über die beliebte Kaiserin von Österreich mit Portisheads Nummer Wandering Star zu beginnen, ist mutig und geradezu avantgardistisch. Auch hier, wie schon bei Maria Kreutzers Corsage, ist das Schnüren des Mieders ein wesentliches Element, um die Enge des gesellschaftlichen Quadratmaßes zu beschreiben, welches Frauen in Zeiten wie diesen nutzen durften – auch jene von höherer Herkunft. „Eine Kaiserin gehört zum Kaiser“, höre ich Vilma Degischer als Ernst Marischkas Version von des Kaisers Mutter in leicht keifendem Befehlston von sich geben. Nun, nicht nur Kaiserin Sisi gibt darauf gar nichts und ebenso Frauke Finsterwalder (u. a. Finsterworld) schließt sich diesem trotzigen, aber niemals nicht selbstbewussten Nonkonformismus an, den Elisabeth fortan zelebrieren wird: Auf Korfu, auf Reisen übers Mittelmeer, im vereinigten Königreich. Überall sonst, nur nicht daheim beim Ehegatten Franz, um als Verschönerung einer monarchistischen Agenda herzuhalten. Diesen Ausbruch und dieses Anderssein beobachtet nun jemand ganz anderer – eine Frau namens Irma, ihres Zeichens Gräfin Sztáray und unter der brutalen Fuchtel ihrer Mutter stehend, die ihr gerne mal einen Kinnhaken verpasst. Sisi wird durch diesen Blickwinkel zur beispielhaften Exotin: zum Medium dafür, Normen zu hinterfragen und den Tod als letzte Instanz für Freiheit anzuerkennen.

    Die phänomenale Sandra Hüller, die eben erst mit Anatomie eines Falls brilliert hat, schein in Sisi & Ich sogar noch mehr in ihrer Rolle aufzugehen. Als Irma ist sie ein blaublütiges zwar, aber naives und geradeheraus denkendes Mädel ohne Allüren und Maske. Ihre Direktheit und manchmal unbeholfene Unverblümtheit, die sich mit hofzeremoniellem Respekt vermengt, scheint auch die in ihren letzten Lebensjahren nur noch schwarz tragende, zutiefst unglückliche Kaiserin positiv zu überraschen. Als Hofdame muss Irma von nun an ordentlich Gewicht reduzieren und darf nur noch selten von Sisis Seite weichen. Sie muss reiten, Sport betreiben und Wassersuppe schlürfen. Allerdings kann sie auch ihre Meinung sagen, obwohl die Kaiserin das letzte Wort hat. Nicht nur die beiden historischen Figuren, auch Hüller und Susanne Wolff dahinter müssen sich auf Anhieb verstanden haben. Zwischen den beiden entstehen bereits zu Beginn die für den eigentlich recht handlungsarmen Stoff notwendigen Synergien, um das Interesse an den Figuren auch nach zwei Stunden Laufzeit noch zu garantieren. Basierend auf den tatsächlichen Aufzeichnungen eben jener Irma skizziert Finsterwalder das aquarellfarbene Portrait einer Zweisamkeit mit sehr viel Gespür für die richtigen Schlüsselszenen, ohne sich mit belanglosem Zeitvertreib aufzuhalten. Damen und Herren der Geschichte haben ihren ins Groteske verzerrten Auftritt, darunter der ebenfalls als Außenseiter geltende Erzherzog Viktor (einnehmend: Georg Friedrich) oder Franz Josef (Markus Schleinzer) als entmythisierter Bürokrat, der an der Distanz zu seiner Ehefrau verzweifelt.

    Der Ohrwurm Ich gehöre nur mir aus dem beliebten Musical Elisabeth scheint in Finsterwalders oszillierender Kultcharakter-Interpretation rein inhaltlich zum Leitmotiv zu werden – immer wieder mit Lust am Anachronismus konterkariert durch Musiknummern unter anderem von Nina Hynes oder Nico. Diese Methode, und auch dank des sich keinem Muster unterwerfenden Spiels der beiden Hauptdarstellerinnen, schafft es Sisi & Ich, sich so sehr an die Wahrheit anzunähern wie kaum ein anderes Machwerk, das die Kaiserin in den Mittelpunkt rückt. Gerade diese Freiheit, zu fabulieren, und dabei doch so manche Fakten im Auge zu behalten, schafft eine Balance, die sich weder zu nostalgischem Heimatkitsch hinneigt noch zur selbstverliebten Progressivität von Filmemachern, die das Gefühl haben, mit jedem Mittel den oft nach- un umerzählten Lebensweg ganz anders durchexerzieren zu müssen. Da reicht Sisis auf- und abwallendes Verhalten, da genügt Irmas immer stärker und idealistischer werdendes Verständnis für eine verhängnisvolle Sehnsucht, die zu erfüllen unausweichlich scheint.



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    15.11.2023
    18:17 Uhr
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    Immer wieder Sisi

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Man kann sich in den letzten Jahren kaum retten vor Bearbeitungen des Sisi-Stoffes. Ob als Nacherzählung des bekannten Mythos oder als dessen Dekonstruktion, ob im Fernsehen, im Streaming oder im Kino: Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn ist überall. Und so reiht sich auch Frauke Finsterwalders „Sisi & Ich“ in die lange Tradition der Filme über die Monarchin ein, die spätestens durch die Verkörperungen von Romy Schneider in den 1950er-Jahren im kulturellen Gedächtnis fest verankert ist. „Sisi & Ich“ ist Finsterwalders erster Film, seit sie 2013 bei ihrem Spielfilmdebüt „Finsterworld“ Regie führte, und auch diesmal entstand das Drehbuch wieder in Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann Christian Kracht.

    Irma Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller) bewirbt sich auf Drängen ihrer Mutter um eine Stelle als Hofdame von Kaiserin Elisabeth (Susanne Wolff). Nachdem sie eine Reihe an quasi-militärischen Aufnahmetests hinter sich gebracht hat, darf Irma Elisabeth auf ihren Reisen begleiten. Der Kaiserin und ihrer neuen Hofdame folgt der Film nach Griechenland, Algerien und England, während Kaiser Franz Joseph und andere Männer über weite Strecken abwesend bleiben.

    Gleich vorweg: Natürlich drängt sich der Vergleich mit anderen Sisi-Verfilmungen auf, insbesondere mit Marie Kreutzers erst vor wenigen Monaten veröffentlichten „Corsage“. Beide Filme versuchen die lange Tradition der Sisi-Geschichte aufzubrechen und ihr eine neue, moderne, feministische Perspektive hinzuzufügen. Das tun sie, indem sie die Kaiserin und – im Fall von „Sisi & Ich“ – ihre Hofdame in den Mittelpunkt stellen und die Beziehung zu Kaiser Franz Joseph nur im Hintergrund und vor allem kritisch thematisiert wird. „Sisi & Ich“ unterscheidet sich von „Corsage“ wiederum vor allem darin, dass er deutlich stärker mit Humor arbeitet, der leider häufig die Grenze zum Klamauk überschreitet.

    Die Darsteller*innen sind dabei weitestgehend überzeugend, wir haben es nicht umsonst mit einigen der größten Namen des deutschsprachigen Schauspiels zu tun: Sandra Hüller spielt die naiv-dümmliche Hofdame Irma, die mit den Gepflogenheiten des Hofes nicht vertraut ist und von ihrer enttäuschten wie verzweifelten Mutter in diese Anstellung gedrängt wird. Susanne Wolff als Kaiserin Elisabeth, die Irma erst mit absurden Tests und später mit abenteuerlichen Diäten und Drogentrips das Leben zur Hölle macht. Und Georg Friedrich taucht als schwuler Erzherzog Ludwig Viktor auf, der seine von Skandalen geprägte Außenseiterrolle am Hof sichtlich genießt und eher wie eine Karikatur wirkt.

    Ansonsten stellen Popsongs und modern interpretierte Kostüme eine erfrischende Ahistorizität her, die durch beeindruckende 16mm-Filmaufnahmen der sommerlichen Handlungsorte ergänzt werden. Visuell bietet „Sisi & Ich“ durchaus einiges, es stellt sich jedoch die Frage, was am Ende über die Kaiserin oder über die Monarchie im Allgemeinen gesagt werden soll. Während das höfische Gehabe zu Beginn noch in seiner Unsinnigkeit ausgestellt wird, folgt der Film später sehr konventionellen Erzählmustern. Es wird keine Positionierung zur Monarchie deutlich. Genauso wenig erzählt der Film von Sisis spezifischer Rolle als Frau in den gegebenen Strukturen, wie es etwa „Corsage“ noch deutlich stärker gemacht hat.

    „Sisi & Ich“ ist kompetentes Schauspielkino mit schön anzusehenden Bildern, die aber auch bloß Ausdruck eines Monarchie-Kitschs sind, von dem man sich doch eigentlich emanzipieren möchte. Die anachronistischen Spielereien und die überzeichneten Hauptfiguren können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Sisi-Diskurs wenig Neues hinzugefügt wird.
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    14.03.2023
    10:10 Uhr