Tár

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Forumseintrag zu „Tár“ von grille

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grille (16.03.2023 07:54) Bewertung
Eine Komposition über Hybris und Machtmissbrauch
Beinahe dokumentarisch beginnt der Film mit einem Interview mit der Protagonistin, der Weltklasse-Dirigentin Lydia Tár. Die Geschichte wird derart glaubhaft vermittelt, dass man sich immer wieder fragt, ob diese auf wahren Begebenheiten basiert. So bekommt man im Laufe des Films nicht nur Einblick in die Tätigkeiten und überaus spannenden Sichtweisen einer Dirigentin, es entfaltet sich mit zunehmender Intensität auch ihre Persönlichkeit. Trotz Überlänge gewinnt der Film mit der Zeit immer mehr an Tempo, bis am Ende die Ereignisse nur mehr bruchstückhaft erzählt werden. Was zuletzt irritierend erscheinen mag, fügt sich wunderbar stimmig in den Lauf der Geschichte und der Persönlichkeit der Protagonistin ein. Während man anfangs den dokumentarisch-distanzierten Blick auf die Dirigentin erhält, kommt der Betrachter im Laufe des Filmes der Person Tár immer näher, bis man sich am Ende völlig verstrickt in deren Persönlichkeitsstruktur findet.
Eine gut komponierte Erzählung über Hybris und Machtmissbrauch, die gerade durch die inszenierte Realitätsnähe gekonnt Themen der #MeToo-Bewegung als auch der Cancel Culture anzusprechen vermag. Ganz besonders in Erinnerung bleibt die Auseinandersetzung der Dirigentin mit einem jungen Studenten, dem es als BIPoC schwerfällt, sich mit der Musik Bachs, den er als misogynen cis-Mann bezeichnet, auseinanderzusetzen. Die Dirigentin macht sich dabei in überaus eloquenter Weise über die Einstellung des Studenten lustig.
Der Film entzieht sich dabei der Verlockung eine moralische Position zu beziehen und bewegt sich auch deshalb wunderbar nahe an der Person Tár. Umso gelungener erscheint in diesem Zusammenhang auch die Wahl der weiblichen Hauptrolle.
 
 

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