Mein Jahr in New York

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Forumseintrag zu „Mein Jahr in New York“ von chrosTV

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chrosTV (20.02.2020 23:51) Bewertung
Die Agentur der etwas anderen Art
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2020
Nicht wenige junge Leute träumen davon eines Tages professionell als Autor*in tätig sein und somit die eigene Gedankenwelt mit der Welt teilen zu können. Der amerikanischen Schriftstellerin und damaligen Literaturstudentin Joanna Rakoff ging es dabei kaum anders. Mitte der 90er-Jahre nahm Rakoff ihr Schicksal selbst in die Hand und entschied sich dazu, nach New York zu ziehen, um ihren Traum zumindest schrittweise näher zu kommen. Im Alter von gerade mal 23 Jahren wurde Rakoff von einem auf den anderen Tag die Ehre zuteil in einer der ältesten Literaturagenturen New Yorks arbeiten zu können. Das Besondere daran: die besagte Agentur vertrat zu damaligen Zeiten niemand geringeren als den US-Schriftsteller J.D. Salinger, der ein von der Öffentlichkeit abgeschottetes Dasein führte. Rakoffs Aufgabe war es, auf Salingers Fanpost zu antworten beziehungsweise diese stets mit den selben ablehnenden Worten zurückzuweisen. Die oft sehr leidenschaftlich formulierten Briefe inspirierten die junge Frau dazu ihren eigenen momentanen Stand im Leben zu hinterfragen und ermutigten sie zudem dazu, ab und an auch mit ausführlicheren Texten auf die sonst oft leicht abgefertigte Post zu antworten.

Im Jahre 2014 schrieb Rakoff ihre eigenen Erfahrungen im autobiographischen Roman „My Salinger Year“ nieder. Unter Regie des französisch-kanadischen Filmemachers Philippe Falardeau wurde das Buch nun in leicht fiktionalisierter Form für die große Leinwand adaptiert und durfte heuer die 70. Filmfestspiele von Berlin eröffnen. Für die Hauptrolle der Joanna Rakoff wurde Shooting-Star Margaret Qualley auserkoren, die bereits mit auffallenden Rollen wie in der Buddy-Cop-Komödie „The Nice Guys“ (2016) oder in Quentin Tarantinos im vergangenen Jahr erschienenen „Once Upon A Time in Hollywood“. Joannas Chefin, die toughe Literatur-Agentin Margaret, wird hingegen von der Hollywood-Ikone Sigourney Weaver verkörpert.

Was man Regisseur Farlardeau bei seiner Verfilmung des Stoff auf jeden Fall zu Gute halten kann, ist dessen sichtliches Streben nach Authentizität. Mithilfe feingeschliffener Dialoge und dem Verzicht auf einen überbordenden Kitsch-Score zeichnet der Film ein weitestgehend glaubwürdiges Abbild der jungen, wilden New Yorker Kunst- und Autorenszene der 90er-Jahre. Auch die Darstellung der Agentur, für die unsere Protagonistin über die Laufzeit des Films hinweg arbeitet,  wirkt oft wie aus dem Leben gegriffen, wenn auch an machen Stellen (bewusst?) etwas überzeichnet.

Obwohl das Drama zu Beginn noch wie eine Beobachtung der inneren Mechanismen einer solchen Agentur daherkommt, wandelt es sich nach für nach zur persönlichen Charakterstudie über Rakoff, was sich für die eigentliche Qualität des Films gleichermaßen als Fluch wie auch als Segen herausstellt. Ab einen gewissen Punkt verliert sich das Narrativ so sehr in der Gedankenwelt seiner Protagonistin, dass dieses streckenweise nur so vor sich hinplätschert. Dieses Dahinplätschern kann aufgrund einiger amüsanter Gags, einer beruhigenden Ästhetik und der angenehm unaufdringlichen und oft innerdiegetischen Verwendung bekannter Musikstücke (wie bspw. Debussys „Claire de Lune“) durchaus einen gewissen Charme mit sich bringen. An anderen Stellen wird es jedoch auch ein wenig mühsam und die gerade mal 101 Minuten lange Laufzeit hätte noch deutlich mehr gestrafft werden können. Man kann dem Film zusätzlich auch noch vorwerfen, dass er gegen Ende den anfänglich so schön etablierten Realismus zur Seite schiebt, um dem ganzen eine leicht fantastische Ebene hinzuzufügen, die einen etwas zu seichten und emotional aufgesetzten Eindruck erweckt.

Was aber auf jeden Fall großen Unterhaltungswert bietet, das sind die Zwischensequenzen, in denen wir als Zuschauer die jeweiligen Inhalte der an Salinger gerichteten Fan-Briefe zu hören bekommen. Das wohl größte Ass im Ärmel des Films ist aber ohnehin der durchwegs überzeugende Cast. Margaret Qualley beweist mit ihrer charismatischen aber auch verletzlichen Darstellung der Joanna Rakoff nun endgültig, dass sie sich freilich zu den spannendsten Jungtalenten ihrer Generation dazuzählen darf. Sigourney Weavers unterhaltsames Portrait der harten Chefin/Mentorin grenzt teilweise nahezu an eine Karikatur, aber dadurch, dass ihre Figur im letzten Drittel auch eine etwas softere Seite offenbart, bekommt die Perfomance eine weitere Dimension und Tiefe verliehen. Douglas Booth verkörpert Joannas pseudo-sozialistischen und nur schwer erträglichen Freund Don ebenfalls mit großer Glaubhaftigkeit, wenn auch manchmal an der Grenze zum Overacting.

Was die Verfilmung von „My Salinger Year“ nun konkret aussagen möchte, lässt sich nicht mit Sicherheit festlegen. Man könnte das Ganze aber als Beweis dafür hernehmen, wie manch eine/r von Büchern (oder auch anderen Medien) selbst dazu bewegt werden kann, Großes schaffen zu wollen. Als Ganzes ist der Film stellenweise zwar etwas holprig geworden, aber schafft es oft seine Problemchen mithilfe der exzellenten Besetzung sowie einer großen Portion Charme und Stil angenehm zu kaschieren.

Eine sehenswerte Adaption, die aber dennoch mehr hätte sein können!
 
 

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