Vor der Morgenröte

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Forumseintrag zu „Vor der Morgenröte“ von 8martin

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8martin (22.06.2016 09:27) Bewertung
Ein (un)angenehmes Exil
Um das Positive gleich vorwegzunehmen: es ist durchaus aller Ehren wert, dass sich Maria Schrader dieses nicht unbedingt mainstream-kompatiblen Stoffes angenommen hat. Klar hat jeder schon mal den Namen Stefan Zweig gehört oder sogar seine ‘Schachnovelle‘ gelesen, aber über dessen politische Einstellung ist wenig bekannt, über die Gründe seines Suizids ebenfalls. Es fehlt Frau Schrader aber ein klares Konzept. Keine Standortbestimmung des Exilanten in Südamerika. Man kann es nur erahnen. Verschlimmert wird dieser Umstand durch die dilettantische Technik. Manche Kapitel vom Lebensende des Schriftstellers wirken recht willkürlich ausgesucht und sind z.T. durch überharte Schnitte auseinandergesprengt worden. Nur eingefleischte Kenner der Biographie können erahnen, welche Personen da jeweils gerade agierten. Das Verständnis wird auch oftmals durch die Tatsache erschwert, dass man die Untertitel in weißer Schrift auf oft weißem Grund nicht lesen kann. So kann ich auch nur annehmen, dass der Titel aus Zweigs Abschiedsbrief stammt: ‘Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.‘
Nur eines wird deutlich: Stefan Zweig war ein weltweit geschätzter Autor, dem eine riesige Leserschaft zu Füßen lag und der eigentlich ein angenehmes Leben im Ausland führte. Umso überraschender kommt dann sein Selbstmord nach lustiger Geburtstagfeier und einem Hund als Geschenk. Da fragt man sich ‘Wie konnte der bloß?‘ Josef Hader spielt die Titelfigur recht distanziert. Das Drehbuch legt ihm ellenlange Dialoge auf, die wenig Auskunft geben über den Menschen und schon gar nicht über den Schriftsteller.
Von Heimweh oder Unverständnis keine Spur. Nur für den Schluss hat sich Schrader mit der starren Kamera etwas einfallen lassen. Etwas, was die Distanz zum Menschen allerdings noch vergrößert. So rückt Stefan Zweig nie in die erste Reihe neben den im Film erwähnten Größen wie Thomas Mann. Schade eigentlich.
 
 

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