I, Olga Hepnarová

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Forumseintrag zu „I, Olga Hepnarová“ von Stadtneurotikerin

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Stadtneurotikerin (13.02.2016 08:48) Bewertung
Die Emanzipation einer Psychopatin
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2016
Das tschechische Drama „I, Olga Hepnarová“ der Regisseure Petr Kazda und Tomás Weinreb war der Eröffnungsfilm der Panaroma-Schiene der diesjährigen Berlinale und erzählt die wahre Geschichte einer jungen Außenseiterin im kommunistischen Tschechien der 60er und 70er Jahre, die ihr Leben lang „Prügelknabe“(wie es Olga selbst in einer berührenden Rede am Ende des Filmes nennt) der Gesellschaft war, und sich an eben dieser rächt, indem sie einen Massenmord begeht.

Olga ist ein komplizierter Charakter. Einsam, wütend, gefühlskalt und wortkarg verlangt sie dem Publikum einiges ab, aber keine Sympathie und auch nicht wirklich Mitleid. Dazu müsste sie den Zuschauer an sich ranlassen, aber Olga mag keine Menschen und so kommt man ihr vom Kinositz auch nicht so nah, wie ich es gerne getan hätte. Da ich also nicht wirklich mit Mitfühlen beschäftigt war, und die Bilder zwar fesselnd schön, aber nicht sehr dynamisch waren, kam oftmals ein wenig Eintönigkeit auf, die sich aber am Ende in Erschütterung auflöst, nachdem Olga willentlich einige Passanten auf einem Gehsteig niederfährt (eine Szene, die einem als Grazer ohnehin Wunden aufreißt).

Gleich nach der Tat von der Polizei verhaftet, beginnt der einzige Teil im Film, in dem Olga mal etwas mehr Worte findet, und zwar irgendwie die richtigen. Sie will ihre Tat nicht entschuldigen, aber sie erklärt sich zumindest und wirft Fragen auf, die nicht einfach zu beantworten sind und zum Nachdenken anregen. Kann Gewalt mit Gewalt bekämpft werden? Ist Rache ein Bedürfnis? Ist Olga Opfer oder Täter? Ein berührender Diskurs über die Folgen von Mobbing entfacht und stellt sowohl Olga als auch die Gesellschaft, in der sie lebt, an den Pranger.

Inhaltlich schwer und kompliziert, kommt der Film bildlich klar und strukturiert daher. Ruhige Bilder in Schwarz-Weiß zeigen überwiegend intensive und lange Blicke von Olga, die beindruckend, lasziv und stilsicher von der jungen polnischen Schauspielerin Michalina Olszanska verkörpert wird. Alles zusammen ein schwer verdaulicher, aber anregender und schön anzusehender Film, der hier und da Längen hat, aber dennoch sehr sehenswert ist.
 
 

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