Filmkritik zu Gloria!

Bilder: Rai Cinema Fotos: Rai Cinema
  • Bewertung

    You‘ve got the music in you

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    In „Gloria!“ kommentiert Margherita Vicario patriarchale Strukturen und das Musikgeschäft durch die historische Linse einer Musikschule im beginnenden 19. Jahrhundert. Da verbreiten sich auch in Venedig die Ideen der Französischen Revolution von Freiheit und Gleichheit, doch die jungen Frauen von Sant Ignazio, allesamt Waisen, kriegen davon noch nichts mit. Lucia (Carlotta Gamba), die erste Violinistin des Chors, schreibt ihre eigene Musik. Der Maestro, ein Bilderbuch-Hochstapler nimmt sie trotzdem nicht ernst. Doch schon bald soll der Papst höchstpersönlich auf ein Konzert vorbeikommen. Und dann ist da noch Teresa (Galatea Bellugi). Die erledigt eigentlich nur die Drecksarbeit und spricht kein Wort. Aber niemand ahnt etwas von dem verborgend Talent, das in ihr schlummert - bis sie endlich ihre Stimme findet.

    Teilweise ist die Stimmung des Films sehr kalt und trostlos. Immer aber wenn Musik im Spiel ist, dann haucht sie ihm Leben ein. Die perfekte Harmonie aus Melodie, Schnitt und Choreografie ist mitreißend und aufregend, allem voran aber die Eröffnungssequenz. Historische Akkuratesse braucht man jedoch nicht erwarten. Teresa projiziert ihre Gefühle in ihre Musik, was ihr modernere Klänge vergleichbar mit unserer heutigen Popmusik entlockt; eine Bereicherung für den Film, jedoch ein absoluter Skandal für die Zeit mit ihren christlichen Werten. Der Vergleich zu „Sister Act“ kommt da sofort in den Sinn, auch eine Musikeinlage erinnert übrigens an den Klassiker.

    Selbst die Chormusikerinnen, allen voran Lucia, begegnen ihr daraufhin nur mit Ablehnung, manchmal sogar Neid. Erst als sie lernen ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden, kommt die Aussicht auf Veränderung. Damit kann „Gloria!“ auch als Aufruf verstanden werden zusammen zu arbeiten, um sich gegen Unterdrückung aufzulehnen.

    Vicario ging es darum all die vorrangig weiblichen Talente zu feiern die die Geschichte vergessen hat; deren visionäre Ideen nie realisiert werden konnten aufgrund gesellschaftlicher Ordnung. Und das hat sich vermutlich auch in 200 Jahren nicht geändert. Wieviel hohe Kunst wohl da draußen in der Welt wartet gehört oder gesehen zu werden, weil ihren Schöpfern die nötigen Mittel und Möglichkeiten verwehrt bleiben. Besonders die Figur von Teresa macht dies deutlich.

    Am Ende gabs die ersten Buhrufe des Festivals, mutmaßlich aufgrund der feministischen Thematik. Also muss er irgendetwas richtig gemacht haben.
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    (Markus Toth)
    23.02.2024
    10:46 Uhr