Filmkritik zu Sasquatch Sunset

Bilder: Bleeker Street Fotos: Bleeker Street
  • Bewertung

    Pupsen und Poesie

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Es gibt sie noch, die großen Mythen und Folkloren, die von Generation zu Generation weitergetragen werden. Gruselgeschichten über Seeungeheuer im schottischen Loch Ness, über affenähnliche Humanoide, die sich irgendwo in den Wäldern Nordamerikas eingenistet haben. Letztere Legende, die von Bigfoot – in Teilen der USA umgangssprachlich auch „Sasquatch“ genannt – war die Vorlage für die aktuelle Spielfilmarbeit der Brüder David und Nathan Zellner.

    Die Frage nach der Existenz der pelzigen Viecher sollte mit „Sasquatch Sunset“ ein für alle Mal vom Tisch sein. Den fanatischen Gläubigern geben die Gebrüder Zellner recht und platzieren Bigfoot genau dort, wo man ihn seit Jahrzehnten vermutet: zwischen abgelegenen Wäldern und Buschen Kaliforniens. Fast schon dokumentarisch folgt der Film, untergliedert in vier Kapitel, einer mehrköpfigen Familie aus Sasquatches. Unter den verstörenden Masken und haarigen Kostümen quasi unerkennbar: Hollywood-Gesichter wie Jesse Eisenberg und Riley Keough. Dazu trägt auch bei, dass es keinen Dialog gibt, man bewegt sich ja fernab jeglicher menschlicher Zivilisation. Was die alltäglichen Riten und Gepflogenheiten der Affenwesen angeht, entscheidet man sich allerdings kaum von den unseren. Es wird gegessen, geschlafen und gefurzt, was das Zeug hält. Für den einen oder anderen Umschweif in Richtung Fäkalhumor ist man sich nicht zu schade.

    Auf dieser Sorte Humor verweilt „Sasquatch Sunset“ jedoch nicht dauerhaft. Denn, und das wird überraschen: dieses Experiment ist mehr als nur ein auf Spielfilmlänge gestreckter Witz. Nächst ausschweifender Sexszenen und gelegentlicher Momente der Pipi-Kacka-Komik wird nämlich ums blanke Überleben gerungen - der ewige Kampf zwischen Natur und Kreatur. Die porträtierte Bigfoot-Familie, in der Welt des Films mutmaßlich die letzte, hat mit den unendlichen Fallen eines sich stetig ändernden Planeten zu hadern. Da wird allein schon die alltägliche Suche nach Futter zum potentiell letzten Spaziergang. Für die Erzählung dieser ungemein berührenden Bigfoot-Ballade verlassen sich die Zellner-Brüder auf die Ausdrucksstärke ihrer Bilder, präsentieren Kino in seiner reinsten Form. Zugegeben, in manchen Momenten wirkt das Konzept nicht ganz zu Ende gedacht. Nicht jede Pointe, nicht jeder Versuch auf die Tränendrüse zu drücken geht auf. Als konsequentes Stilexperiment muss man „Sasquatch Sunset“ in seinem Mut zum vollkommenen Irrsinn aber bewundern. Und einem Film, in dem Pupsen und Poesie einander lediglich millimeterweit entfernt liegen, dem kann man einfach schwer böse sein.
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    (Christian Pogatetz)
    21.02.2024
    17:56 Uhr