Filmkritik zu Seven Veils

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  • Bewertung

    Von dramatischen Arien, zu viel Liebe und traumatischen Psychen – Alles andere als langweiliges Operngedöns!

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Die historische Figur der Salomé hat eine lange Geschichte hinter sich. Ihren Ursprung in der Bibel verortet, verliebt sie sich unsterblich in den heiligen Johannes den Täufer. Weil er sie aber ignoriert, bittet sie ihren Vater Herodes Johannes zu enthaupten, damit sie zumindest so als abgespalteter Schädel seine Lippen küssen kann. Salomé wurde unzählig in den Künsten aufgegriffen. Selbst Oscar Wilde verarbeitete die Figur und ihre Geschichte als Theaterstück, von welchem wiederum Richard Strauß sich inspiriert fühlte, eine Oper zu komponieren.

    Wozu diese Gesichtsstunde? Opern haben bis heute kulturellen Stellenwert, aber es liegt an einer gegenwärtigen Inszenierung, sie für heute relevant werden zu lassen. Dieser Verstrickung widmet sich Atom Egoyans neuester Film „Seven Veils.“ Darin spielt Amanda Seyfried Jeanine, die damit beauftragt wird, die Wiederaufführung der Oper „Salomé“ zu leiten, weil der eigentliche Regisseur, ihr Mentor und heimliche Liebe, kürzlich verstarb. Sie soll sich aber das Stück zu eigen machen. Zerrissen zwischen den Beziehungen der Künstler:innen, den kreativen Köpfen, Herausforderungen im Privatleben, Regulation des Opernhauses und einem ganz persönlichen Trauma stellt sich diese Aufgabe als eine schwierige heraus.

    Geister der Vergangenheit und Verschleierungen

    Jeanines Mentor Charles ist im Film geisterhaft allzeitpräsent: Obwohl er leiblich nie auftritt, wird sein Erbe und seine Inszenierung immer wieder referiert – sogar Jeanine spricht im Voice Over zu ihm. Eben ähnlich wie Oscar Wilde und Richard Strauß finden die Namen Verstorbener durch ihre Werke Nachklang in den späteren Generationen. Charles Lieblingsort war die Probebrücke im Opernsaal, die das Publikum mit der Bühne über den Orchestergraben verbindet. Zwei Realitäten werden verbunden. Man könnte fast schon sagen, die Kunst und die Realität werden verbunden. Denn genau in diesem Dienste steht „Seven Veils“ und schafft dadurch eine hohe Komplexität. Wie mehrere Schleier, die sich übereinanderlegen, mal mehr, mal weniger transparent erscheinen, verschränken sich Ebenen der gegenseitigen Inspiration übereinander. Das erübrigt sich in unzähligen Dopplungen und Wiederholungen: Von Affären, über Machtmissbräuche bis hin zu theatralen Inszenierungen realer Ereignisse. In all der Intertextualität, also dem Geflecht an Verbindungen des Films zu anderen Medien und Kunstwerken, ist es geradezu ironisch, dass Atom Egoyan selbst parallel zur Filmproduktion „Salomé“ im kanadischen Opernhaus inszenierte und so manche Solist:innen für den Film überzeugen konnte. Zu Anfang des Filmes mag die Verschleierung konfus wie die angeschlagene Psyche Jeanines wirken, aber je tiefer „Seven Veils“ schreitet, desto mehr Sinn ergibt das Gesehene, ohne an Verworrenheit zu verlieren. Das ist eine Meisterleistung. Filmstilistisch gelingt es dem stimmigen Schnitt zusammen mit einem opulenten Sounddesign die Ebenen miteinander zu verbinden. Gerade die Sinfonien und Arien von Strauß zu hören, gibt dem Film eine stilisierte Dramatik – für die man natürlich keine Abneigung gegenüber Opern haben sollte.

    Trauma und der schmale Pfad von Liebe und Gewalt

    Im Zentrum all der Verschleierungen steht Amanda Seyfried als Jeanine. Demnach ist sie eben auch der Ankerpunkt, an dem man sich orientieren muss. Und auch wenn die Rolle selbst nicht solch eine Komplexität erfordert wie die Narrative, brilliert hier Seyfried. Vor allem wenn man sie erst kennenlernt und noch nicht mit der Figur vertraut ist, ist sie schwer einzuschätzen. Seyfried gelingt der Akt, sowohl mysteriös und bedrohlich als auch verletzlich und leidenschaftlich zu spielen, knapp vor dem theatralen Over-Acting. Ihre traumatische Vergangenheit scheint sich in einem psychoanalytischen Wiederholungszwang zu äußern. Und dennoch stellt man sich auf ihre Seite, wenn sie die Verantwortung tragen muss, die „Salomé“-Inszenierung wieder auf die Bühne zu bringen. Da charakterisiert „Seven Veils“ nämlich noch weiter harte Kritik an der Kunst- und Kulturbranche, die äußerst unangenehme Szenen zur Folge hat. Inwiefern darf die Kunst real erlebte Traumata ausschlachten? Oder bildet die Kunst auch ein Werkzeug zur Traumaverarbeitung? Im kommerziellen Umfeld ist es immer ein Ringen mit unterschiedlichen Interessen, die eigenen kreativen Ideen umzusetzen. Ebenfalls auf #metoo-Debatten zurückgreifend (weil sie nie so recht abgeschlossen wurden bzw. auch nicht sollten) kämpft Jeanine für ihre eigene Handschrift, die dem Thema gerecht wird. Und das Publikum begleitet sie auf ihrem Kreuzzug – mit all der Gänsehaut, Brisanz, Angst und Erfüllung.

    Zugabe bitte!

    Irgendwo wirkt „Seven Veils“ wie eine Kombination aus dem Dirigentin-Drama „Tár“ und dem Ballerina-Psychothriller „Black Swan“, wobei er für sich alleine steht und seinem Aussagebedürfnis mehr Deutlichkeit verleiht. Jedenfalls lässt sich in der Filmbranche auch eine (Wieder-)Entdeckung klassischer Musik erkennen: „Maestro“ im heurigen Oscarrennen, der schon genannte „Tár“, den die Berlinale letztjährig zeigte, und neben „Seven Veils“ lifen heuer „Gloria“ und „Sterben“ im Berlinale-Programm. Ich würde mich über eine stärkere Entwicklung dahingehend freuen. Denn dadurch entstehen Filme wie „Seven Veils.“ Epochal in der Aufmachung, obwohl man ‚nur‘ musiziert (eine Stärke der Oper), aber dennoch ausgeklügelt im Drehbuch, formal ästhetisch und gelungen, sowie durchwegs starkem Schauspiel im Cast und gehaltsvollen Aussagen. So soll Kino!
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    (Tobit Rohner)
    25.02.2024
    12:52 Uhr
    First milk, then Cornflakes
    just like my movie taste.

    Betreibt den Podcast @Filmjoker

    Aktiv auf Letterboxd @Snowbit